Die Nacht zum 1. Mai ist hier im Rheinland eine große Sache! Schon Tage, wenn nicht Wochen vorher, werden leuchtend bunte Krepp-Bänder zum Kauf angeboten; seit einigen Jahren kann man auch vorgefertigte rote Sperrholz-Herzen käuflich erwerben: wie praktisch! Auf die muss dann nur noch der Name der Liebsten geschrieben werden, eine Birke – am besten beim Förster – besorgt, und schon kann es in der Nacht zum1. Mai losgehen!

Auch in diesem Jahr hörte ich in unserer Straße in der Nacht zum 1. Mai dezentes Rumoren, unterdrücktes Gelächter, laut-leise Aktivitäten. Am nächsten Morgen, der hell und windig war, sah und hörte ich dann auch tatsächlich vor dem Haus unserer Nachbarn einen hübschen kleinen Maibaum mit roten, gelben, blauen und orangefarbenen Bändern in der Sonne flattern: ein wunderbarer, irgendwie fröhlich stimmender Anblick voller Lebensfreude und Leichtigkeit. Und ja, es ist Schaltjahr, da bekommen die Jungen von den Mädchen die Maibäume gestellt, deshalb prangt eben in diesem Jahr der Name unseres Nachbarsjungen auf dem roten Sperrholz-Herz.

Die Maibäume sind ein wunderbarer Anblick, ich denke das jedes Jahr, sie signalisieren so sehr Lebensfreude, Leichtigkeit, Hoffnung: Meine Gedanken gehen heute, zwei Tage vor dem 8. Mai, dem Tag des Kriegsendes vor 75 Jahren, zu den unzähligen jungen Männern, fast noch Kindern, die in die Todesmaschinerie des Zweiten Weltkrieges marschiert sind. Manche mögen ideologisch verblendet gewesen sein, viele obrigkeitsgläubig, einige mögen mit Leichtigkeit und der sicheren Zuversicht, heil wieder heimzukommen, aufgebrochen sein, viele aber zogen mit Ängsten und Traurigkeit, die sie überspielen mussten und nicht zeigen durften, in den Krieg: Dem grausamen Gleichmacher Tod waren die Motive der Jungen und Männer egal. Und die entsetzlichen Zahlen der mörderischen, menschenverschlingenden, menschenverachtenden, Zivilistinnen und Zivilisten wie Soldaten mordende Kriegsmaschine übersteigen meine Vorstellungskraft.

Ich denke an unseren 17-jährigen Nachbarsjungen und stehe von meinem Schreibtisch auf an diesem wieder so sonnigen Morgen, ich schaue durch ein Seitenfenster auf die heiter flatternden, fröhlichen Bänder, das frische Maiengrün, das rote Herz mit dem Jungennamen. Ich bin traurig, wenn ich an all die sinnlosen Menschenopfer denke, an die jungen Leben, die nicht gelebt werden konnten:

Tun wir alles, was wir können, um den Krieg zu ächten und niemals als Mittel der Politik zu akzeptieren.

Tun wir alles, damit Ausgrenzung, Abwertung von religiösen oder ethnischen Minderheiten, aber auch erneut von Frauen, denen wieder „ihr Platz“ zugewiesen werden soll, nicht hingenommen werden. Das beginnt im Klein-Klein des Alltags. Sehen wir klar, dass das Geschenk des Friedens und der Freiheit Gabe und Aufgabe ist!

Am 16. Mai hätten sich viele von uns in Frankfurt zur Frauenfriedenswallfahrt wiedergesehen. Viele Frauenbundfrauen wollten mit Bussen, Privatautos, der Bahn und auch mit Fahrrädern nach Frankfurt kommen: Ich bin dankbar, dass es die Frauen des Frauenbundes gibt und dass wir gemeinsam wachsam bleiben.

Draußen wehen die bunten Bänder des Maibaums vor leuchtend blauem Himmel: eine echte Alternative zu allen Kriegsfahnen dieser Erde!

Als Mitglied des Bundesvorstands und als Geistliche Beirätin stelle ich mir, zusammen mit vielen anderen Frauen des Frauenbunds, die Frage: Wie können wir verbunden bleiben in dieser Zeit der notwendigen Vereinzelung? In der Familie erlebe ich es gerade als ein überraschendes Glück, wie vital und tatsächlich verbindend die vielfältigen virtuellen Kontakte untereinander sind. Das bewegt mich, mit unserem frauenbundblog ein Stück Neuland zu betreten - wie es der Frauenbund übrigens zu allen Zeiten getan hat - und Sorge und Hoffnung, aber auch Alltägliches, Banales, Besonderes auf neue Weise zu teilen: Auch so können wir einander begegnen und einander bewegen ...

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