In all den Jahren, die ich als Redakteurin für den KDFB gearbeitet habe, durfte ich viele engagierte Frauenbundfrauen kennen lernen. Eine von ihnen war Aenne Brauksiepe, CDU-Politikerin und erste Bundesministerin für Familie und Jugend. Heute – am 23. Februar – wäre sie 110 Jahre alt geworden.

Ich bin dieser großartigen Frau im Frühjahr 1992 begegnet, als ich unsere damalige KDFB-Präsidentin Ursula Hansen zur Delegiertenversammlung des Diözesanverbandes Münster begleitet habe. Da hatte Aenne Brauksiepe gerade ihren 80. Geburtstag gefeiert. Ihre politischen und viele ihrer ehrenamtlichen Ämter hatte sie schon lange hinter sich gelassen. Nun galt es, sie auch vom Amt der Diözesanvorsitzenden zu verabschieden.

Aenne Engels, so ihr Mädchenname, wurde am 23. Februar 1912 in einem Arbeitervorort von Duisburg geboren. Sie wuchs in einer politisch und sozial engagierten Familie auf. Ihre Mutter war in der Deutschen Zentrumspartei aktiv, der auch Hedwig Dransfeld und Helene Weber angehört haben. Bereits als Schülerin wurde Aenne Engels Mitglied im Frauenbund. Nach dem Abitur arbeitete die junge Frau zwei Jahre in der Behindertenfürsorge. Wegen der politischen Aktivitäten ihrer Eltern verwehrten ihr die Nationalsozialisten ein pädagogisches Studium. Deshalb ging sie zunächst für einige Jahre ins Ausland, konnte aber auch dort kein Studium aufnehmen. 1943 kehrte sie mit ihrem Ehemann, dem Journalisten Werner Brauksiepe, nach Duisburg zurück. In den 1950er Jahren zog das Paar mit seinem Sohn nach Oelde.

Politische Karriere

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches begann Brauksiepes politische Karriere. Sie trat in die neu gegründete CDU ein, gehörte von 1946-1948 als einzige Frau dem Duisburger Stadtparlament an. 1949 kandidierte sie auf Drängen von Frauenbundfrauen für den Deutschen Bundestag, holte ihren Kölner Wahlkreis II mit großem Vorsprung und zählte mit ihren 37 Jahren zu den jüngsten weiblichen Abgeordneten. Fünfmal schaffte sie souverän den Einzug in den Bundestag, dem sie bis 1972 als direkt gewählte Abgeordnete angehörte. Früh forderte sie einen höheren Anteil von Frauen in politischen Ämtern und Mandaten, betonte die Gleichrangigkeit der verschiedenen Lebensverläufe von Frauen, setzte sich für den Wiedereinstig von Familienfrauen in den Beruf ein. 1956 wurde sie in den Bundesvorstand der CDU gewählt, von 1964-1969 war sie stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und zwischen 1966 und 1969 erstes weibliches Mitglied des CDU-Präsidiums. 1968/69 übernahm Brauksiepe wiederum als erste Frau das Bundesministerium für Familien und Jugend.

Brauksiepe war eine mitreißende Rednerin. Sie konnte auf Menschen zugehen und Menschen begeistern. Wegen ihrer Herzlichkeit und ihrem Humor wurde sie sehr geschätzt. Aber unterschätzen sollte man die zierliche Frau nicht: „Auftreten wie eine Lady, kämpfen wie ein Schlachtross“, das war ihr Motto. Das bekam auch Bundeskanzler Adenauer zu spüren. Als nach der Bundestagswahl 1961 bekannt wurde, dass Adenauer wieder keine Frau ins Kabinett berufen wollte, organisierte Brauksiepe mit anderen Frauen ein Sit-in im Bundeskanzleramt. Genervt musste der Bundeskanzler nachgeben und berief Elisabeth Schwarzhaupt zur Gesundheitsministerin.

Brauksiepe erkannte schnell, dass sie Mitstreiterinnen brauchte, um politisch etwas bewirken zu können. So baute sie die Frauenvereinigung der CDU (die heutige Frauen Union) mit auf, leitete sie über viele Jahre. Sie war Vorsitzende des Kuratoriums des Müttergenesungswerkes, Vizepräsidentin des Familienbundes, Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Auch internationale Kontakte waren ihr wichtig, vor allem die europäische Einigung.

Hausmacht Frauenbund

Ihre Hausmacht aber war der Frauenbund. Hier fand sie Kraft für ihren unermüdlichen Einsatz – nicht zuletzt auch im gemeinsam gelebten Glauben. Aenne Brauksiepe ist dem KDFB von Jugend an bis zu ihrem Tod verbunden geblieben. Zusammen mit Helene Weber und Gertrud Ehrle hat sie seine Arbeit über Jahrzehnte hin mitgeprägt: von 1952-1979 als gewähltes Mitglied des Präsidiums, von 1973-1992 als Diözesanvorsitzende des KDFB Münster und als Vorsitzende des Zweigvereins in Oelde.

Aenne Brauksiepe, Helene Weber und Gertrud Ehrle

Der Frauenbund bedeutete für sie eine Art “geistige Heimat“. Gerne erinnerte sie sich an die Abende, wenn sie nach anstrengenden Parlamentssitzungen in Bonn mit Helene Weber zurück in die Zentrale des Frauenbundes fuhr. „Alle Gesetze die kamen, haben wir da erst vorinterpretiert und besprochen. Dann haben wir uns aufgeteilt und sind zu Vorträgen in die Zweigvereine gegangen. Damals war das wirklich eine Hausmacht für uns. Wer eine Hausmacht hinter sich hatte, der wurde von dieser Gruppe getragen. Für uns war das der Katholische Deutsche Frauenbund. Der stand mit ganzer Kraft hinter Helene Weber und auch hinter mir. Wir zogen übers Land und haben in den Zweigvereinen die Leute gefunden, die wir zur Übereinstimmung und als Multiplikatoren brauchten.“

Als erste Frau mit Trauerstaatsakt geehrt

Vor 25 Jahren, am Neujahrstag 1997 ist Aenne Brauksiepe im Alter von fast 85 Jahren gestorben. Und wieder war sie die erste Frau (von bisher erst zweien), die wegen ihrer Verdienste um die Bundesrepublik Deutschland mit einem Trauerstaatsakt geehrt wurde. Ich war damals dabei. Es war eine große Aufregung für die westfälische Stadt Oelde, als sich am 13. Januar prominente Politiker*innen und Weggefährt*innen versammelten, um Aenne Brauksiepe zusammen mit ihrer Familie die letzte Ehre zu erweisen. Die Trauerreden hielten Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth und Bundesminister Norbert Blüm. Bundeskanzler Helmut Kohl schickte ein persönliches Beileidsschreiben an die Familie, in dem er an ihre Herkunftsfamilie erinnerte: „Sie hat immer wieder betont, wie sehr ihr Herkommen sie dazu befähigt und ermutigt hat, gegenüber dem Nationalsozialismus immun zu bleiben, soziale Verantwortung zu übernehmen und europäisch zu denken und zu handeln. Sie gehörte nach Kriegsende zu den Frauen der ersten Stunde, die sich ganz selbstverständlich in Staat und Gesellschaft engagierten und ihre Pflicht erfüllten.“

Auch KDFB-Präsidentin Ursula Hansen würdigte bei dem Trauerakt die Verstorbene: „Für uns lebte Aenne Brauksiepe vorbildhaft die Verantwortung, als Christin an der Gestaltung der Lebensbedingungen für die Menschen mitzuwirken. In ihrer Person hat sie so einem bis heute gültigen Ziel des KDFB Gestalt gegeben. Dabei sind ihre Einmischung und ihr Wirken auffallend geprägt gewesen von großer Nähe zu den Menschen, von souveräner Heiterkeit, von hohem Maß an Glaubwürdigkeit und von christlicher Hoffnung.“