Nadine Maier schreibt:

Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum vor Frauentoiletten immer lange Warteschlangen sind, vor Männertoiletten aber nicht? Ich habe das ehrlicherweise bis vor kurzem als gegebenes Schicksal hingenommen und nicht weiter darüber nachgedacht. Gestern stand ich wieder einmal in der Schlange. Die Männertoilette war leer. Darin: 5 Pissoirs und zwei Kabinen. In der Frauentoilette: drei Kabinen, ein Wickeltisch und jede Menge kleine Kinder bei ihren Müttern. Die Grundfläche für beide Toilettenräume war vermutlich gleich groß bemessen – und manche würden sagen, dass das doch dann gerecht sei. In „Das Patriarchat der Dinge“ schlüsselt die Autorin Rebekka Endler auf, warum dies eben nicht so ist. Nicht nur, dass die Benutzung des Pissoirs viel schneller geht und die Anzahl der Plätze in der Toilette viel höher ist, zusätzlich kommt erschwerend hinzu, dass viel mehr Mütter als Väter mit ihren Kindern aufs Klo gehen, was natürlich wesentlich mehr Zeit in Anspruch nimmt.

Vielleicht ist das ein seltsamer Einstieg in einen Gastbeitrag. Aber er zeigt so offensichtlich, wie oft wir strukturell bedingte Ungerechtigkeit in Gesellschaft und Kirche nicht bemerken oder als gegeben hinnehmen, obwohl sie das nicht ist, weil entscheidende Rahmenbedingungen wesentlich verschieden sind.

Als Frau in einer Leitungsposition und gleichzeitig Mutter von zwei Kindergartenkindern spüre ich diese strukturelle Ungerechtigkeit an vielen Stellen. Ich kann nicht zählen, wie oft ich bei Arbeitsterminen danach gefragt wurde, wo meine Kinder denn gerade sind und ob mein Beruf denn vereinbar sei mit der Familie. Mein Mann wird das nie gefragt, obwohl er seinen Beruf genau wie ich mit der Familie vereinbaren muss. In meinem Umfeld teilen sich die wenigsten Paare Beruf und Familie gleichberechtigt auf. Wenn die Kinder krank werden, wenn es Probleme gibt, dann ist es eben doch oftmals die Mutter, die „selbstverständlich“ daheim bleibt, weil der Vater bei der Arbeit unabdingbar zu sein scheint. Von Elternzeitmonaten gar nicht zu sprechen. Dass die Pandemie diese Ungleichheiten um ein vielfaches verschärft und die Gleichberechtigung um Jahrzehnte zurückgeworfen hat, bestätigen nun auch verschiedene Studien. Es ist ein wenig wie mit den Grundflächen der Toilettenräume: auf dem Papier sind Männer und Frauen gleichberechtigt, in der Praxis ist die „Schlange“ aus mental load, care-Arbeit, unterschwelligen oder ganz direkten Erwartungen und Anfragen an das Muttersein von außen aber deutlich länger auf der Frauenseite.

Diese Bedingungen sind nicht unveränderbar. Deshalb ist es wichtig, dass wir Ungleichheiten benennen und merken: es sind keine individuellen Herausforderungen und Probleme, sondern systemische. Das ist anstrengend und unbequem, aber nur dadurch verändert sich Bewusstsein. Viele Rahmenbedingungen sind durch einen männerzentrierten Blick auf die Welt entstanden. Es ist an uns, unseren Blick, unsere Bedürfnisse und unsere Lösungen einzubringen und einzufordern um für unsere Kinder und Enkelkinder eine Welt zu gestalten, in der vieles selbstverständlich ist, wofür wir jetzt noch kämpfen.

Nadine Maier, Diözesanjugendseelsorgerin, Diözesanleitung BDKJ/BJA
Diözese Rottenburg-Stuttgart