Vor einigen Tagen las ich in der FAZ über einen sogenannten «Ehrenmord»: Einmal mehr wurde  eine Frau im Namen der Ehre und im Auftrag der Familie getötet. Die junge Frau wurde ermordet, weil sie selbstbestimmt leben wollte.

«Ehrenmorde» scheinen oft mit einem bestimmten Kulturkreis verbunden, doch Femizide sind keinesfalls ein importiertes Phänomen. Unter Femiziden versteht man Morde an Frauen, die getötet werden,  weil sie Frauen sind – und sich nicht so verhalten, wie (ihre) Männer es erwarten. Denn noch immer nehmen viele Männer Frauen als eine Art Besitz wahr. Täglich versucht ein Mann in Deutschland, seine (Ex-)Partnerin zu töten. Jeden dritten Tag findet ein solches Verbrechen tatsächlich statt. Frauen werden diffamiert, sie werden bedroht oder sterben, weil sich Männer gekränkt fühlen, wenn Frauen selbständig leben wollen.

In den Augen oder in der Ideologie der Mörder sind selbständige Frauen schamlos. Als Frau selbständig und selbstbestimmt zu handeln, kommt in solcher Weltsicht einem Todesurteil gleich. Die selbstbewusste Frau wird gleichgesetzt mit der «schamlosen Dirne». – Wie fern ist uns solches Denken?

In seinem Antwortschreiben auf das Rücktrittsangebot von Kardinal Marx formuliert Papst Franziskus: «Als Kirche müssen wir um die Gnade der Scham bitten, damit der Herr uns davor bewahrt, die schamlose Dirne aus Ezechiel 16 zu sein.» So sehr Papst Franziskus zuzustimmen ist, dass Scham angesichts der furchtbaren Missbrauchstaten angemessen ist, so sehr befremdet der wie selbstverständlich formulierte Hinweis auf die «schamlose Dirne».

Genau über Ezechiel 16 habe ich gerade ein neu erschienenes Buch aus der Reihe «Theologische Studien» gelesen: «War deine Hurerei noch zu wenig? Zur Metapher der Stadtfrau Jerusalem», verfasst von Milena Heussler. Bei der Lektüre ging mir auf, wie scheinbar selbstverständlich und tiefsitzend die Abwertung von Weiblichkeit, der herabsetzende Blick auf Frauen auch und gerade in biblischen Texten ist. Und auch viele Frauen haben ihn fast internalisiert. Patriarchale Männerphantasien projizieren alles Negative auf die schöne und selbstbewusste Frau; bei Ezechiel ist es die «Stadtfrau» Jerusalem. Im gesamten Text Ezechiel 16 wird verstörend deutlich, welcher Frauenhass, welch katastrophales Frauenbild hier transportiert wird. Das Begriffsfeld Hure, Hurerei, hurend ist von fast bizarr zu nennender Präsenz, so z. B in Ez 16,15: «Doch dann hast du dich auf deine Schönheit verlassen, du hurtest in deinem Ruhm und hast mit deiner Hurerei jeden überschüttet, der vorbeiging, ihm wurde sie zuteil.» Die starke und schöne Frau, die als schamlose Hure, als Verbrecherin und Ehebrecherin identifiziert wird, verdient in diesen Texten jedwede Bestrafung.

Wie wichtig ist es, dass wir klar sehen und die immense Wirkungsgeschichte dieser biblischen Texte und ihre frauenfeindlichen Bilder wahrnehmen: die Wirkmächtigkeit bis heute ist ungebrochen. Ein solches durch und durch misogynes Frauenbild gab und gibt bis heute Männern das Gefühl, Frauen zu Recht abwerten, beschimpfen, verleumden, bedrohen, ja töten zu können. Nicht nur im Internet werden Frauen überdurchschnittlich oft Opfer von sexueller Gewaltsprache und Drohungen, die von Vergewaltigung bis zum Mord reichen. Männer meinen zu wissen, wie Frauen sind – und wie sie zu sein haben.

Auch das Kirchenrecht und viele Kirchenmänner meinen, genau Bescheid zu wissen über das Wesen der Frau. Heute noch werden Frauen kategorisch – weil sie Frauen sind – von Diensten und Ämtern der Kirche ausgeschlossen, die Wurzeln dafür sind vielfältig und sie reichen tief. So wissen wir, dass etwa die folgenreichen Pastoralbriefe –  «Dass eine Frau lehrt, erlaube ich nicht» (1 Tim 2,12) – von antiker Misogynie geprägt sind und in diesem Punkt weit entfernt von jesuanischer und urgemeindlicher Praxis.

Umso wichtiger ist es, die Wirkungsgeschichte der zutiefst unchristlichen Frauenfeindlichkeit in biblischen Texten zu erkennen und auch darüber zu sprechen: zum Beispiel im Frauenbund …