Der Muttertag steht vor der Tür. Nachdem die Ausgangsbeschränkungen geändert wurden, könnten meine Eltern am Sonntag zu uns zum Kaffeetrinken kommen. Wir würden uns endlich wieder „richtig“ sehen. Jetzt überlege ich schon ein paar Tage, ob wir das wirklich machen sollen oder nicht… Meine Mutter gehört zur Hochrisikogruppe, weil sie in Bezug auf ihre Lunge „vorgeschädigt“ ist. Mein Vater ist über 80. Bisher kommen sie nur mit meiner Schwester in Kontakt und es geht ihnen gut.
Jetzt gibt es die Möglichkeit, sie wieder zu treffen. In unserer Homeoffice-Blase im Münchner Vorort merken wir von „Corona“ nicht viel: wir sind zu viert, haben Arbeit, sind fit und es wird uns nicht langweilig – bei uns ist alles in Ordnung.
Zwei Haushalte, die sich – endlich – sehen könnten. Aber ist das wirklich zu verantworten? Ist damit das Risiko, meine Eltern anzustecken, wirklich gebannt? Die Lockerungen gaukeln vor, dass die Lage schon viel besser ist. Reicht das: wenn es den einen und den anderen gut geht und man sich dann trifft? Ich schwanke zwischen: „Es wird schon alles klappen.“ und „Das ist doch unverantwortlich!“ und frage mich: „Sollen wir uns treffen, sollen wir nicht…???“
Eine Variante ist, auf der Terrasse Kaffee zu trinken. Jeden Tag checke ich den Wetterbericht – es hilft mir bei meiner eigentlichen Entscheidung nicht wirklich… Mal sehen, was wir übermorgen tatsächlich machen. Wir haben vereinbart, dass wir es morgen Abend relativ spontan entscheiden. Der Kuchen kommt auch so weg, da hab ich keine Sorge ;-)
Was würden Sie tun?
Ich bin gefahren. Am Freitagnachmittag von Köln ins Sauerland. Zunächst in einem fast leeren IC – habe ich zuvor noch nie erlebt – und dann in einem Regionalexpress – anstatt Kegelclubs hauptsächlich Berufstätige und ein paar Studierende. Auch ungewöhnlich.
Nach 11 Wochen wollte ich endlich wieder bei meiner Mutter sein. Ausgestattet mit Mund-Nase-Schutz, klar. Es war so schön, sie wiederzusehen. Wir haben viel erzählt, über Dieses und Jenes, wer gestorben ist und wie es Tante Mia geht. Ich habe sie aber auch gefragt, wo sie war, als am 8. Mai 1945 das Ende des Zweiten Weltkriegs verkündet wurde. Viele Erinnerungen kamen bei ihr hoch. Die große Zeit der Entbehrungen, die Ängste vor dem Fliegeralarm, das rationierte Essen und die selbstgenähte Kleidung aus Decken. Die Not machte erfinderisch. Meine Mutter berichtete auch von den freundlichen Juden, die in unserem Dorf Geschäfte hatten und die meiner Oma auch schon mal eine Kleinigkeit zusteckten. Allein diese Erinnerung war die Zugfahrt wert.
Und dann sagte sie noch: „Früher haben wir auf Vieles verzichten müssen. Und es gab auch einfach nichts. Anders als heute, wo doch Alles zur Verfügung steht. Überall wird einem geholfen. Die Menschen sollten dankbar sein, dass sie keinen Krieg erlebt haben. Stattdessen beklagen sie sich, dass durch Corona ihre Freiheit beschnitten ist. Ich glaube, diese leute haben noch nicht verstanden, dass Corona eine Lebensbedrohung ist und dass Vorsicht und Rücksicht nichts mit Freiheitsberaubung zu tun hat. Oder verstehe ich die Welt einfach nicht mehr? Bin ich dafür zu alt?“
Nein, bist Du nicht. Ich bin froh, dass Du da bist und wir beide trotz Corona und trotz Deiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen eine schöne Zeit miteinander hatten. Mit Kuchen von Deiner Schwiegertochter. Lecker!
Klingt gut! – Wir haben uns auch getroffen – auf der Terrasse. Und das Zusammensein viel mehr genossen als sonst, wo es selbstverständlich möglich war. Herzliche Grüße!