Der Bundestagswahlkampf hat Fahrt aufgenommen und geht in die letzte Phase. Noch dreieinhalb Wochen, dann werden wir sehen, welche Partei die Nase vorn hat bei den Wähler*innen. Es ist ein überraschend enges Rennen, und das macht es besonders spannend!

Auf allen Kanälen wird berichtet, befragt, getalked, heftig diskutiert. Und zunehmend geraten die Spitzenkandidat*innen ins Visier. Sie werden seit Wochen unter die Lupe genommen. Jeder Schritt, jedes Wort, jede Geste wird kommentiert.

Wie sich das wohl anfühlen mag, frage ich mich? Immer unter dieser Beobachtung stehen? Ständig hinterfragen: Habe ich jedes Argument gut genug übermittelt? Habe ich die gegnerische Partei in die Defensive gebracht? Habe ich dabei auch die richtige Krawatte an? Gefällt mein Kleid? Habe ich genug gelächelt? Wirke ich nervös? Wie angriffslustig, wie staatstragend, wie fair, wie sympathisch war mein Auftritt?

Barack Obama hat einmal gesagt, ein Wahlkampf gleicht einer dauerhaften Darmspiegelung der Kandidat*innen. Das ist ein drastisches Bild. Aber ich verstehe, was er meint. Menschen werden durchleuchtet, in jedem Moment, über sehr lange Zeit. Was das mit einem macht?

Sicherlich muss man Kanzlerkandidat*innen nicht bemitleiden. Sie haben sich freiwillig entschieden, so ein hohes Amt anzustreben. Sie haben vermutlich gewusst, mit welchen Belastungen das einhergeht. Sie haben sicherlich auch ein Coaching-Team, das sie berät und für diese Situation trainiert. Und manche schlechte Presse ist ihrer eigenen Schuld zuzurechnen.

Aber in all dem Wirbel wünsche ich mir manchmal, dass wir als Öffentlichkeit gnädiger sind, ihnen zugutehalten, dass sie auch nur Menschen sind. Im Grunde sind sie nicht anders als wir. Sie haben gute und schlechte Tage. Sie stehen unter gewaltigem Druck. Sie brauchen Nerven wie Stahlseile. Sie haben sicher auch Momente, in denen sie alles hinschmeißen wollen.

Ich finde, sie müssen nicht perfekt sein, ohne Fehler. Sie dürfen „menscheln“. Oft denke ich gerade an die Zeit zurück, als Angela Merkel Bundeskanzlerin wurde. Ganz ehrlich: Ich habe es ihr damals nicht zugetraut. Seltsam steif, wenig charmant, wenig staats-„männisch“ kam sie daher. Heute leiste ich Abbitte und ziehe meinen Hut vor Ihrer Leistung als Bundeskanzlerin, ob ich sie nun gewählt habe oder nicht.

Ich bin froh, dass ich am 26.9.2021 wählen gehen kann, dass ich Auswahl habe unter mehreren Parteien, die ich für wählbar halte. Und ich bin dankbar, dass diese konkreten, seriösen Menschen sich zur Verfügung stellen, die Politik unseres Landes in Zukunft zu gestalten.

Wer immer von ihnen am Wahltag gewinnt, wird den rechtsextremistischen Kräften, die Deutschland gerade so sehr zusetzen, ein stabiles Demokratieverständnis, Vernunft und Augenmaß entgegensetzen.