Mirjam Gräve schreibt: Geschieden oder queer-liebend und sich dann in einer Partnerschaft das Ja-Wort auf dem Standesamt geben – für Mitarbeitende der katholischen Kirche bestand bis vor Kurzem die Gefahr, deswegen gekündigt zu werden.

Die katholische Morallehre macht vor den Schlafzimmern der Menschen nicht halt und verursacht Schmerz und Leid. Für viele Kirchenmitarbeitende bedeutet es, ein Doppelleben zu führen.

Manuela, Seelsorgerin im Bistum Essen, berichtet beispielhaft: – „Der Wendepunkt war meine Verabschiedung aus der Gemeinde. Ein großes Fest, ein großer Gottesdienst. Es war fast perfekt, aber eben nur fast. Denn meine Frau und eine ihrer Töchter saßen nicht da, wo sie hingehörten: neben mir!  Sie saßen ein paar Reihen hinter mir und ab diesem Moment brach der Schmerz sich Bahn.“ (Zitat aus: „Katholisch und Queer“, S. 29) 

Durch die Initiative #OutInChurch, bei der sich im Januar 2022 über 125 Mitarbeitende der Katholischen Kirche als LGBTIQ+ geoutet haben und zusammen mit der ARD-Dokumentation „Wie Gott uns schuf“ wurde eine große Öffentlichkeit für ein zentrales Anliegen sensibilisiert: Das kirchliche Arbeitsrecht muss geändert werden, um eine Kirche ohne Angst zu erreichen. Meine Frau und ich sind Teil der Initiative.

Seit dem 22.11.22 ist es so weit: Die neue Grundordnung ist da. In gewisser Hinsicht ist sie ein Befreiungsschlag, weg vom personenzentrierten Ansatz hin zu einer institutionenorientierten Herangehensweise. Der Arbeitgeber trägt Sorge für die katholische Identität der Einrichtung, die persönliche Lebensführung darf keine Rolle mehr spielen. Es gibt ein eindeutiges Bekenntnis zur Vielfalt und damit eine Rechtssicherheit für wiederverheiratete Geschiedene und queere Verheiratete. Alle Bistümer haben zugestimmt und die meisten haben diese Grundordnung zum 01.01.23 in Kraft gesetzt.

Geschieht dies aus der Einsicht heraus, dass sich daher folgerichtig auch die katholische Lehre ändern muss? Ist damit der Weg bereitet hin zu einer Abkehr von einer Sichtweise, dass wiederverheiratete Geschiedene und queere Partnerschaften in Sünde leben?

Es wäre eine logische Schlussfolgerung, aber ich denke, die Gründe liegen zum Teil woanders. Es sind vielmehr der Fachkräftemangel, die bereits „verlorenen“ Gerichtsprozesse gegen Kündigungen aufgrund der Anwendung der alten Grundordnung und der Druck der Öffentlichkeit, die auch reformunwillige Bischöfe haben zustimmen lassen. Dennoch gilt es, die Bischöfe genau auf diese Zustimmung und die daraus folgende Konsequenz der Veränderung der Lehre – neben der Anwendung der Grundordnung in ihrem Bistum – nachdrücklich hinzuweisen.

Ein wesentlicher Mangel sei hier benannt. Zwei Personengruppen sind in der Grundordnung nicht berücksichtigt: Für verkündigungsnahe Berufe und für katholische Religionslehrkräfte gibt es Sonderregelungen. Genau diese Gruppen sind es, die häufig auch jetzt noch gezwungen sind, ein Doppelleben zu führen. Hier muss dringend nachgebessert werden.

Vielleicht gelingt es dennoch, diese Neufassung des kirchlichen Arbeitsrechts als Zeitenwende zu nutzen – der erste Schritt der Befreiung. Hin zu einer längst überfälligen Abschaffung queer-feindlicher Strukturen in der katholischen Kirche. Hin zu der Möglichkeit, dass wir alle – egal ob wir für die katholische Kirche arbeiten oder ihr in unserem Verband oder unserer Gemeinde ein Gesicht geben – inklusiv denken und handeln, so wie Jesus es uns aufgetragen hat.

Mirjam Gräve ist katholische Religionslehrerin im Rheinland, Sprecherin des Netzwerks katholischer Lesben (NkaL),  Aktivistin bei #OutInChurch und Mitglied der theologischen Kommission des KDFB.