Ali Mitgutsch ist tot. Er gilt als der „Vater der Wimmelbücher“ und ist am 10. Januar im Alter von 86 Jahren in München gestorben. Wer kennt sie nicht, die Kinderbücher ohne Worte, mit den liebevoll gezeichneten Alltagsszenen? „Rundherum in meiner Stadt“, „Bei uns im Dorf“, „Komm mit ans Wasser“ …, so lauten die Titel der ersten Bücher dieses neuen Genres Ende der 60er Jahre. Seitdem sind mehr als 70 Bücher, Poster und Puzzles mit seinen Figuren und Zeichnungen erschienen. „Frech, witzig, liebevoll – Ali Mitgutschs Sicht auf die Welt, auf den Zauber des Alltäglichen war einzigartig, hat Generationen von Kindern und Erwachsenen begeistert“, teilte sein Verlag Ravensburger in einer Würdigung mit.

Dem kann ich nur zustimmen. Schon meine Kinder waren ganz begeistert von den Büchern – damals noch im XXL-Format. Und auch meine drei Enkel lieb(t)en die Wimmelbilder. Wie oft haben wir bäuchlings auf dem Boden gelegen, die Buchseiten vor uns ausgebreitet. Die Kinder haben die Bilder schon angeschaut als sie gerade erst begannen zu sprechen. Sie haben winzige Details entdeckt. Mit ihren Fingerchen drauf gezeigt, mich erwartungsvoll angeschaut, damit ich ihnen erkläre, was da gerade passiert. Immer wieder von neuem. Später haben wir Geschichten dazu erfunden. Warum das kleine Kind weint. Was die Leute wohl gerade machen, die in den Häusern leben. Wer der alten Frau hilft, deren Einkäufe auf den Bürgersteig kullern. Warum der Mann da wohl ausgerutscht und auf dem Hosenboden gelandet ist. Was die Frau mit dem Gemüse macht, das sie im Garten geerntet hat. Wie es dem Radfahrer geht, der bei einem Unfall verletzt wurde und nun vom Notarzt behandelt wird. Wen der schwarze Hund anbellt. Was auf der Baustelle passiert … Danke Ali Mitgutsch für die vielen Stunden, die wir mit Ihren Büchern verbracht haben!

Ali Mitgutsch lebte über Jahrzehnte hinweg in München in einem alten Stadthaus in der Türkenstraße 54. Dort hatte er eine Dachwohnung mit großen Fenstern gemietet, wo auch sein Atelier war. Seine Streifzüge in der Maxvorstadt und in Schwabing haben ihn zu seinen Bildern inspiriert. Es heißt, er sei nie ohne Block und Bleistift aus dem Haus gegangen. Flink habe er Skizzen von Situationen gezeichnet und später damit gearbeitet. Das Haus steht (oder stand?) gegenüber dem Hotel, in dem ich immer übernachtet habe, wenn im Frauenbundhaus Redaktionsbesprechungen und -konferenzen stattgefunden haben. Damals wusste ich noch nicht, dass Mitgutsch da lebte. Vielleicht bin ich ihm das eine oder andere Mal auch begegnet, ohne es zu wissen. Ich habe erst davon gelesen, als ich schon im Ruhestand war. Als Mitgutsch sich zusammen mit anderen dagegen gewehrt hat, dass alteingesessene Mieter*innen vertrieben und die alten Häuser in der Türkenstraße abgerissen werden. Erfolglos haben sie dafür gekämpft, die gesamte Häuserzeile unter Denkmalschutz zu stellen. Ob das Haus Nr. 54 noch steht, weiß ich nicht. Die Nachbarhäuser jedenfalls sind bereits weg. An ihrer Stelle will der neue Investor Neubauten mit Luxuswohnungen bauen, die sich kaum jemand leisten kann. Schade. Ohne den Flair dieser Umgebung hätten wir sicherlich nicht diese schönen Wimmelbücher.