Seit meinem Studienbeginn Mitte der 1980er Jahre bin ich Aussteuerverbraucherin. Nein, ich habe nie eine eigene Aussteuer besessen, aber aus der Verwandtschaft war sie reichlich vorhanden.

Schon für mein erstes Studentinnenzimmer packte ich Küchenhandtücher mit den Monogrammen AL und KA ein. Alwine L., die lebenslustige Patentante meiner Mutter, war ledig geblieben und hatte nur wenig Zeit, ihre Aussteuer selbst zu nutzen, denn sie verstarb mit Mitte 30 an einer Lungenentzündung. Karl A., der Vater meiner Mutter, fiel Anfang 1942 in Russland – in der heutigen Ukraine. Hatte er die Handtücher mit dem Monogramm kennzeichnen lassen, weil sie zur Ausstattung seiner Gastwirtschaft gehörten? Hatte sie vielleicht sogar seine Frau Maria angefertigt, von der es heißt, dass sie eine gute Stickerin war, aber während des Krieges kein gutes Material erhalten konnte und nach der Währungsreform nicht genügend Geld dafür hatte? Der Zweite Weltkrieg hat Karl das Leben genommen und meiner Mutter den Vater, den sie zeitlebens vermisst hat. Seine Geschirrhandtücher erinnern mich an ihn und die Verwandtschaft mütterlicherseits, die ich nie kennenlernen durfte. Jedes Mal, wenn meine Mutter mit mir in Schränken nach Brauchbarem suchte und mir Handtücher, Bettwäsche oder Tischdecken übergab, dann waren damit Geschichten verbunden wie jene, dass die Wäsche bei Händlern aus dem bayerischen Lauingen erworben wurde. Sie reisten über die Schwäbische Alb, verkauften die Wäsche und nahmen den Auftrag für die Weißzeugstickerinnen entgegen, die sie dann mit dem gewünschten Monogramm versahen. Oder dass meine Mutter Pech mit ihrer Aussteuer hatte – die Bettwäsche war schon bald zu klein für die neuen Oberbettenmaße, und die Sammeltassen, die sie zur Konfirmation geschenkt bekam, konnte sie als Jugendliche überhaupt nicht schätzen. Noch lange, bevor sie „Vintage“ wurden, standen sie bei uns zuhause dann doch bei Einladungen auf der Kaffeetafel.

Im Laufe der Zeit, mit den Umzügen der Verwandtschaft in Altenheime, kamen bei mir weitere Utensilien hinzu – weiße Tischwäsche, nie benutzte Damast-Leintücher, Bettwäsche und natürlich Geschirrhandtücher. Deren Monogramme erinnern mich an die „Bamberger Tanten“ (Großtanten meines Vaters), an meine Großmütter, meine Patentante und natürlich meine Eltern. Die Stücke aus der Familie mütterlicherseits waren gut, die aus der Familie väterlicherseits immer noch etwas besser. Das Weißzeug war ein Statement und vermittelte auf subtile Weise den sozialen Status der Besitzerinnen. Es ist sicher kein Zufall, dass Lene Nimptsch in Fontanes „Irrungen, Wirrungen“ eine „Weißzeugdame“ ist, die weiß, dass ihre nicht standesgemäße Liebe zum Offizier Botho von Rienäcker keine Zukunft haben kann. Übrigens brachte auch mein Vater seine eigene monogrammierte Bettwäsche in die Ehe meiner Eltern mit ein. Ich weiß nicht, ob meine Großmutter einfach Freude daran hatte, neben der Tochter auch ihre Söhne mit schöner Wäsche auszustatten oder ob sich darin ihre emanzipierte Haltung zeigte.

Bewahren oder benutzen? Ich habe mich irgendwann für das Benutzen entschieden, denn unsere Kinder freuen sich an dem ein oder anderen alten Stück, aber sie werden dazu nicht die gleiche Beziehung haben wie ich. Ich mag die Geschichten, die mit ihnen verbunden sind, und ich liebe auch die alten Stoffe. Ganz unvernünftig kommen deshalb immer wieder neue alte Teile hinzu. Wenn wir in der Bretagne unseren Urlaub machen, dann gehört der Wochenmarkt am Mittwoch zum Programm. Gleich am Eingang des Marktes findet sich ein Stand, der ausschließlich alte Wäsche verkauft: Tischwäsche, Stoffservietten, Bettwäsche, Unterkleider. Seit Jahren scheint der Vorrat unerschöpflich. Zwei gebrauchte Geschirrhandtücher für fünf Euro, drei „neue“ für zehn Euro. Ganz typisch die bräunliche Färbung, die die alten Leinen- oder Halbleinenstoffe haben, und ihre glatte Oberfläche, wenn sie noch nie gewaschen wurden. Mit dem Kauf erhält man den Rat, sie unbedingt vor der ersten Wäsche einen Tag in kaltem Wasser einzuweichen. Das kostet Überwindung, denn die scharfen Konturen der Jacquard-Muster gehen so unwiederbringlich verloren. Häufig ist noch die blaue Vorzeichnung für das Monogramm zu sehen, und gelegentlich nicht einmal der Faden vernäht. Was hat eine Frau davon abgehalten, nach dem mühsamen Sticken die letzte Feinheit auszuführen? Sehr beliebt scheinen Damast-Geschirrtücher mit dem Schriftzug „Behüt dich Gott“ und dem Trompeter von Säckingen gewesen zu sein. Ich hoffe, dass nicht alle ihre Besitzer:innen unglückliche Liebende waren, deren Verbindung wie jene von Lene und Botho mit Standesgrenzen zu kämpfen hatte. In Viktor Scheffels „Trompeter von Säkkingen“ gibt es immerhin mit kirchlicher Hilfe ein happy end: der Trompeter Werner wird Kapellmeister des Petersdomes, wo ihn die adlige Margareta bei einem Gottesdienst wiedererkennt. Der Papst wird über die tragische Vorgeschichte informiert, hebt das Heiratshindernis auf, indem er Werner in den Adelsstand erhebt und vollzieht selbst die Verlobung des Paares.

Besitzen oder benutzen? Am 1. September beginnt die Ökumenische Schöpfungszeit. Meine alten Geschirrhandtücher, in denen „die Früchte der Erde und der menschlichen Arbeit“ stecken, stehen für mich für eine Haltung, die ich immer wieder selbst einüben muss – mich am Schönen zu freuen und es zu nutzen, aber nicht um des Besitzes willen zu besitzen.

Dr. Regina Heyder ist Theologin und Kirchenhistorikerin. Sie arbeitet als Dozentin am Theologisch-Pastoralen Institut in Mainz. Seit 2014 ist sie ehrenamtliche Vorsitzende der Theologischen Kommission des KDFB, seit 2021 Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (AK Theologie, Pastoral und Ökumene).