Mitten hinein in den „nicht-genehmigten“ Rücktritt von Kardinal Marx habe ich gestern Abend die Zeilen des ehemaligen Bischofssekretärs unserer Diözese gelesen. Und sie haben mich tief bewegt. Dieser junge und engagierte Priester ist tatsächlich und unwiderruflich „zurückgetreten“, er hat sich laisieren lassen und will nicht mehr Priester sein in dieser Kirche. Darüber hat er gestern Abend in einem langen Beitrag auf facebook geschrieben und seine Gedanken öffentlich gemacht. Da der Text für einen großen „Facebook-Freundeskreis“ sichtbar ist und der Beitrag mittlerweile dutzendfach im Netz geteilt wurde, kann ich darüber auch an dieser Stelle schreiben und daraus zitieren. Vorneweg: Während meiner Zeit in der Pressestelle der Diözese habe ich mit dem Bischofssekretär regelmäßig zusammengearbeitet – und ihn persönlich ebenso wie seine umsichtige Arbeitsweise sehr geschätzt. Und jetzt das! Er geht einfach. Weil seine Berufung einen neuen Ort braucht.

Er schreibt von der Perspektivlosigkeit der Gemeinden, in die er einen tiefen Einblick bekommen hat. Von einer kirchlichen Betriebskultur, die er an vielen Stellen als „toxisch“ erlebt hat – „wertschätzungsarm, kritikresistent, unlauter, ehrsüchtig“. Er erzählt von der Einsamkeit, mit der er gekämpft hat und seiner Beobachtung, dass „viele Priester-Kollegen mit der Zeit wunderlich werden“. Der wichtigste Punkt aber für seine Entscheidung ist sein Verständnis des Glaubens: „Am Anfang steht da für mich G*tt, der sich als freigebende und vertrauensvolle Liebe in dieser Welt zeigt. Jesus habe ich so verstanden, dass sich diese Liebe in unserem kleinen, konkreten Tun an den Armen und Ausgegrenzten verwirklicht, wenn wir gemeinsam Freude und Leid tragen. Und dass diese Liebe grenzenlos gilt. Ich habe das in meinem Leben erleben dürfen – aber ich musste auch die Erfahrung machen, dass die Kirche das kaum mehr verkünden kann. Anders als G*tt verhalten sich viele Verantwortliche nicht so, als könne man Menschen vertrauen, sondern errichten moralische Schranken und kirchenrechtliche Kontrollen. Welcher G*tt soll es denn in Ordnung finden, dass Frauen, Homosexuelle, Protestanten, Ausländer,… je spezifisch diskriminiert werden? Die Behauptung von gleicher Würde bei ungleicher Behandlung.“

Eine Antwort auf die mögliche Frage, warum er nicht lautstark Widerstand leistet anstatt zu gehen, nimmt er in seinen Zeilen vorweg; er will die Energie nicht aufbringen, gegen reaktionäre Einstellungen und lebensfeindliche Strukturen zu kämpfen, weil er nicht an Änderung glaubt. „Stattdessen will ich meine Lebenskraft für konkrete Menschen einsetzen. Dafür, dass sie in ihrem Leben ein wenig Freude und Hoffnung, Zuversicht und Vertrauen finden – das ist für mich Reich G*ttes. So habe ich Jesus von Nazareth verstanden, dem ich nachfolge. Und dahin sind an den Rändern der Kirchen schon viele unterwegs.“

Es tut weh. Alles. Die  Ohnmacht hinter seinen Worten zu spüren. Seine Traurigkeit zu ahnen, weil er in dieser Kirche keinen Platz für seine Berufung sieht. Und zu realisieren: Unsere Kirche verliert nicht nur viele gute Frauen, sondern auch gute Priester. Und gleichzeitig rüttelt der Text mich auf und wach und fragt an: Wie sieht Nachfolge 2.0 für mich aus? Gehe ich diesen Weg ernsthaft und aufrichtig genug?

 

 

Journalistin, Patchwork-Mama und Öffentlichkeitsreferentin beim KDFB Rottenburg-Stuttgart - In der Corona-Zeit bin ich über Nacht wieder zur Vollzeit-Mama geworden und versuche Haushalt, Homeoffice und Hausaufgaben zu managen. Zwischendurch gibt’s Unterstützung durch meinem Partner - als Mediziner ist seine Anwesenheit in diesen Tagen aber noch ein bisschen unplanbarer als zuvor. Das, was mich bewegt in dieser neuen Zeit, möchte ich teilen; denn teilen heißt: sich näherkommen, einander begegnen. Das braucht es in diesen Tagen vielleicht mehr denn je.

4 Kommentare

  1. Neukatholisch 13. Juni 2021 at 8:22

    Ich habe diesen Blog erst jetzt entdeckt .. aber ich kann diesen Priester nicht wirklich verstehen.
    Ich kehre momentan zum katholischen Glauben zurück – eben weil ich dasselbe in grün in der evangelischen Kirche und in freikirchlich/evangelikalen Gemeinden erlebt habe: keine Wertschätzung vor allem, kein echtes Miteinander, weil die Liebe fehlt.

    Aber diskrminiert fühle ich mich nicht, weil ich als Frau nicht Priester werden darf, und dass Gleichgeschlechtliche ebenso wie Alleinlebende, neudeutsch: Singles enthaltsamn oder auch: zölibatär leben sollen, wäre für die Apostel und frühen Gläubigen nie in Frage zu stellen gewesen. Gottes Wort, in aller Liebe sagt das.
    Ich habe lange in der Welt gelebt .. und ja: Werbung ist bunt .. aber das Leben in der Welt, in der man anscheinend alles ausleben darf .. macht überhaupt gar nicht glücklich .. vielleicht momenteweise, aber der „Fels“ fehlt komplett.
    Das wird nur überdeckt durch die angebliche Buntheit und das Wegschiebens, dass es Leid und Tod gibt ..
    Und das gibt es nicht erst, seit die Katholische Kirche ins Strudeln geraten ist .. bei der evangelischen Kirche, trotz aller ihrer Liberlatität ist es noch schlimmer.

    Erich Zenger hat ein Buch geschrieben, das ich gerade angefangen habe zu lesen:
    Mit Gott ums Leben kämpfen.
    Darin berichtet er von seiner Wahrnehmung und Einordnung des Alten Testaments, das die Katholen seiner Meinung nach vernachlässigen.

    Und das ist es doch:
    Wir kämpfen mit Gott ums Leben!
    Aber wir, die wir heute leben und um Geburt, Leiden, Sterben und Auferstehung des Gottes Sohnes wissen, dürfen erleben, wie ER uns durchträgt und durchhilft, auch und vor allem wenn es schwer ist.

    Mein Leben ist nicht – ich schreibe das nicht, um mich wichtig zu machen – leicht. Ich bin erwerbslos, 58, habe nicht viel gelernt, alleinstehend und habe sehr viele Fehler gemacht in meinem Leben – an vielem bin ich also selbst schuld.
    Aber: wenn ich mich nicht geborgen und getragen wüßte durch IHN .. obwohl gewisse Gebete „unerhört“ bleiben .. bis jetzt …
    und wenn ich nicht lernen würde – wie Abraham – weiter zu vertrauen .. wo mich Gott heruasfordert, sozusagen …
    ja, dann würde ich vielleicht den Weg gehen, den unsere Regierung jetzt freimacht, per Gesetz: Selbstmord auf Rezept.

  2. FB-Mitglied 13. Juni 2021 at 18:13

    Danke, für Ihre klaren u. mutigen Bericht. Ich denke, aus Ihren Worten spricht Gottes Hl. Geist!!!!
    Nicht alles, was in vielen kirchlichen u. verbandlichen Kreisen derzeit gut geheißen u. dem sog. Mainstream entspricht u. dann
    publiziert wird, entspricht Gottes Wille. “ An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen „…. usw. Die heutigen schlechten Früchte sind leider oft zerrüttete
    Familien, Neid, Stolz, Hochmut, Unterdrückung, Missgunst, Mord, Missbrauch usw.
    .Die guten Früchte werden sich dann sehr schnell einstellen.:
    Friede im Herzen, Freude, Geduld, Mit-Leid, Achtsamkeit, Zuversicht ,
    Vertrauen, usw. Ich wünsche ihnen von Herzen Gottes gute
    Behütung u. gute Wegbegleiter auf Ihrem Glaubensweg.

  3. Claudia Schmidt 15. Juni 2021 at 11:06

    Die Zeilen unseres ehemaligen Bischofssekretärs machen mich betroffen. Mich berührt sein Schritt, der eigenen Berufung, dem vor Gott verantworteten Weg treu zu bleiben, indem er sein Amt zurückgibt. Das ist ein wahrhaft ungewöhnlicher Rücktritt, der auch unsere Frauen-Berufungsgeschichten in einen neuen Zusammenhang stellt. Ich bin noch nicht am Ende mit Nachdenken darüber, welchen Impuls ich darin für mich selbst entdecke.
    Daneben, medial viel lauter, hallt der „Rücktritt vom Rücktritt“ von Kardinal Marx nach. Auch wenn die Stimme von Marx beim Synodalen Weg wichtig erscheint und viele jetzt erleichtert sind, bleibt bei mir ein Unwohlsein. Es war ein Rücktritt aus Gewissensgründen, so habe ich es jedenfalls verstanden. Daher empfinde ich es als fragwürdig, wie ein solcher Schritt von jemand anderem zurückgenommen werden kann.

  4. Gabriele Greef 1. Juli 2021 at 20:59

    Ja, es tut weh von solchen Entscheidungen zu lesen.
    Und es ist nur möglich, dies als eine ganz persönliche Entscheidung zu respektieren, wenn jemand sagt: Schluss, es geht nicht länger so weiter! Ich kann nicht mehr.
    Bis jetzt geht es mir so, dass ich viele Kritikpunkte an der Kirche nachvollziehen kann. Und dennoch bleibe ich. Weil mir Kirche immer noch etwas gibt, mir wichtig ist – sonst würde ich mich nicht immer so über Mängel aufregen.
    Allerdings möchte ich den Gottesdiensten nicht immer so „ausgeliefert“ sein. Es gibt einige Pfarrer, die ich nicht mehr ertragen kann. In solchen Gottesdiensten fühle ich mich kreuzunglücklich. Ich gönne es mir zu den Gottesdiensten zu gehen, wo ich weiß, nichts ist vollkommen, doch eine gewisse Stärkung, ein gutes Wort, etwas Trost werde ich mitnehmen. Die Katholische Kirche sehe ich als eine alte Tradition, erlebe ich als ein sehr altes Schiff, das sich Gemeinde nennt, aber außer guten Dingen sehr viel Schrott an Bord hat. Ich helfe gerne beim Ausmisten. Jede Aktion ist besser als die reine Verzweiflung.

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