Gestern habe ich mit zwei Freundinnen telefoniert. Sie kennen einander nicht, aber ähnlich wie ich hören beide die Forderung, öffentliche Gottesdienste möglichst rasch wieder zu erlauben, mit gemischten Gefühlen.
Ich liebe Liturgie, Gottesdienste in der Gemeinde, und brauche sie für mein Glaubensleben. Im Moment fehlen mir die Sonntagsmessen und auch gelegentliche Werktagsmessen, Taizé- oder Stundengebete. Ich vermisse sie. Aber…
Aber! Nur ohne die gewohnte Gottesdienstordnung konnte sich das kirchliche Leben so entfalten, wie es derzeit blüht: Familiengottesdienste zuhause, persönliche Andacht im offenen Kirchenraum, internationale Gebetsgemeinschaft per Videotelefonie, der Gang zum nahen Bilderstöckchen, Kreideschrift auf der Straße „Jesus Christus ist auferstanden“ und vieles mehr. Gläubige und Pastoralteams müssen kreativ werden und sie tun es! So wird derzeit in Gottes Kirche viel Neues lebendig und auch Uraltes – jedenfalls echt kirchliches Leben. Das ist zugegenermaßen nicht immer leicht. Und auch nicht immer schön. Oder gar schöner als etwa die Lichtfeier einer Osternacht in voll besetzter Kirche. Die gemeinsame Eucharistie fehlt. Doch zugleich wachsen religiöse Eigenverantwortung, spirituelle Kompetenzen, unerwartete Begegnungen mit Gott oder anderen Menschen.
Darum ist die Forderung nach einer schnellen Rückkehr zu den üblichen Gottesdiensten zwiespältig. Denn der aufblühende Reichtum würde dadurch vermindert und seine geistliche Kraft, die Kirche zu erneuern, würde gebremst. Diejenigen, die die gewohnte Ordnung der Gottesdienste möglichst schnell wieder hergestellt sehen wollen, dürften dafür auch Gründe haben, die ich nicht teile. Wie gesagt, auch mir fehlen die Feiern. Schon viel länger aber fehlt mir, dass unsere Kirche sich endlich erneuert, hin zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern etwa und zu transparenten Machtstrukturen. Das hat auch mit Liturgie zu tun.
Nun haben wir es ‚geschafft‘, sogar Ostern ohne die öffentlichen Gottesdienste zu feiern. Die eine Telefon-Freundin hat zwar die Feier der Gemeinde vermisst, war aber berührt von der gestreamten Osternacht mit Papst Franziskus. Ich selbst habe unsere alljährliche Familienosterkerze am Osterfeuer auf der Terrasse entzündet und das Licht mit den Nachbarn am Zaun geteilt. Sonntagsmessen werden in nicht allzu ferner Zukunft wieder möglich sein und ich freue mich darauf. Aber auf ein paar Wochen mehr oder weniger kommt es mir jetzt auch nicht mehr an.
Denn vor allem wünsche ich mir gemeinsam mit den zwei Freundinnen am Telefon, dass das neue Leben im Bereich der kirchlichen „Graswurzeln“ noch länger wachsen darf. Ich wünsche mir, dass diese Aufbrüche nicht nur der Not geschuldet bleiben, dass wir ‚mit oder nach Corona‘ die Ordnung unserer Gottesdienste und Gemeinden überdenken und nicht bloß zum Gewohnten zurückkehren.
Und ich bin gespannt, mit wem und worüber ich wohl heute telefonieren werde.
Liebe Regina, ich stimme Dir voll zu. Natürlich würde ich auch gerne wieder einen Sonntagsgottesdienst besuchen. Aber mein Glaubensglück und meine Zuversicht, getragen und beschützt zu sein, hängen nicht von einem Gottesdienst ab. Ich empfinde die Forderungen nach der Öffnung der Kirchen als zu voreilig. Dem Gesundheitsaspekt und der Verpflichtung, durch mein Verhalten zur langsameren Verbreitung des Corona-Virus beizutragen, räume ich einen höheren Stellenwert ein. Wenn „Glaube in Vielfalt“ das Ziel ist, dann sollten die begonnenen neuen und kreativen Impulse aus Gemeinden, Bistümern, Verbänden und Gemeinschaften fortgeführt werden. Sie sind äußerst wertvoll, stabilisierend und erübrigen sich nicht, wenn der Kirchenraum wieder geöffnet ist. Ganz im Gegenteil. Sie müssen bleiben, damit neue Zielgruppen als die „normalen“ Gottesdienstbesucher*innen angesprochen werden können. Ein „zurück“ wäre fatal. Ich wünsche mir mehr Besonnenheit und weniger Beharren auf Traditionen. Besondere Zeiten verlangen ein besonderes Verhalten. So einfach ist das. Oder?
Liebe Frau Illemann, liebe Frau Hücker,
ich empfinde das ganz genauso! Ich habe mir am Karfreitag und am Ostersonntagmorgen die evangelischen Fernsehgottesdienste angeschaut und mitgefeiert. Sie haben mich sehr berührt und ich habe mich als Teil eines christlichen Ganzen gefühlt.
Der Aufforderung, das „Christ ist erstanden“ noch einmal nach dem Ostergottesdienst vom Balkon zu singen, bin ich auch nachgekommen, leider waren die Nachbarn in der Straße, die angekündigt hatten, das auch zu tun, zu weit weg, um sie zu hören.
Aber trotzdem hat sich die Enge unserer Kirche, die mich oft bedrückt, für mich an diesem Osterwochenende ein Stück geweitet und das dürfte für meinen Geschmack ruhig öfter so sein!
Liebe Regina,
telefonieren werden wir nicht, aber ich habe im Freundes- und Bekanntenkreis ganz ähnliche Erfahrungen gemacht und erzählt bekommen. Ganz viel Kreativität und Lebendigkeit, ganz viel Selbst-Ermächtigung und Freude an Ostern. Bitte nicht zurück zur priesterfixierten Konsumhaltung, sondern weiterhin machen, machen, machen :-)
Liebe Grüße * Jutta
Nicht zurück zur priesterfixierten Konsumhaltung …
Ich dachte bisher, eine Eucharistiefeier ist eine Feier in Gemeinschaft.
Heute lese ich in unserem Gemeindeblättchen:
In Zeiten von Corona wird in unserer Gemeinde täglich die Hl. Messe gehalten, doch ohne Gemeinde.
Und es wird ausführlich vermerkt, dass an alle Messintentionen gedacht wurde.
Und dass weiterhin „Messen bestellt“ werden können.
???
Das ist nicht meine Kirche.
Ich finde das merkwürdig und befremdlich.
Manchmal gewinne ich den Eindruck, einige Pfarrer kämen bestens ohne ihre Gläubigen aus.
Liebe Regina,
vielen Dank für diesen Beitrag. Ihn jetzt, mit mehr als einem Monat Entfernung noch mal zu lesen, macht mir klar, daß ich diese Form der Messe, die wir gerade sonntags feiern schwerer ertrage als die Zeit der Nicht-Feier. Ich bin zur ersten Sonntagsmesse mit meiner Tochter los, so ganz allein sitzen…? Und inzwischen – bin ich wieder zur Messe am Radio übergegangen. Ich ertrage das nicht, ganz allein oder höchstens zu zweit, die anderen alle mit großem Abstand – das ist für mich nicht Gemeinschaft der Gläubigen. Dann lieber weiterhin keine „Realpräsenz“, sondern Radio – da kann ich lauthals zu Hause mitsingen, ohne irgendwen durch meine Aerosole zu gefährden, habe zumindest die Illusion einer Gemeinschaft. Und ich frage mich, wie wir künftig unsere Gemeinschaft der Heiligen feiern werden. Einsame Messen durch einsame Priester – das ist einfach vorbei. Corona hat das nur beschleunigt.