Zeig mir deine Maske … und ich sag dir, wer du bist!
Die Welt und ihre Menschen da draußen sind mir neuerdings ein Rätsel. Denn so gut wie jeder läuft in der Öffentlichkeit maskiert herum, Nase und  Mund hinter einem Corona-Viren-Schutzschild verborgen. Bei den meisten lugen nur noch die Augen hervor und lassen bei genauem Hinsehen eine Gefühlsregung – ein Lächeln, Desinteresse oder Traurigkeit – allenfalls erahnen. Mit dem Einhalten des Sicherheitsabstands wird das noch zusätzlich erschwert. Es ist ein notwendiges Übel und dient – zumindest ein wenig – unserer Sicherheit. Doch wenn ich ehrlich bin, freue ich mich schon jetzt auf die Zeit, wo wir im öffentlichen Leben die Masken wieder fallen lassen können.

Die Vielfalt der Masken da draußen verleitet mich zum Start einer kleinen Typologie der Corona-Schutzmasken und ihrer Träger*innen, die (via Kommentarfunktion) gerne fortgesetzt werden darf.

Das OP-Team. Man sieht sie laufen oder Schlange stehen im Supermarkt, Werkzeugladen, Drogeriemarkt oder an der Bushaltestelle. Und ich frage mich: Arbeiten neuerdings tatsächlich so viele im Krankenhaus oder Pflegeheim? Respekt! Es kommt mir vor, als kämen sie gerade frisch vom Dienst und haben ihre OP-Maske aus Nachlässigkeit, Gewohnheit oder auch Standesdünkel aufbehalten – für den Fall der Fälle. Es könnte ja sein, dass da vorne an der Ecke gleich ein schwerer Herzinfarkt auf den rettenden Eingriff wartet. Genau dafür sind diese Maskenträger allzeit bereit. Deshalb horten wohl auch so viele Desinfektions- und Reinigungsmittel, damit bei ihnen jederzeit Reinraum-Atmosphäre wie im OP möglich ist. Weißte Bescheid.

Der Kampfhund. Sein typischerweise maskuliner Träger bedient sich eines Modells aus lederähnlicher Verarbeitung mit starken Ziernähten, die entfernt an einen Fußball im Retro-Style oder an einen Hunde-Maulkorb erinnern. Auffälligerweise äußert sich der Kampfhund gerne bellend gegen alle, die ihre Maske nur locker um den Hals baumeln lassen.

Die Selfmade-Näherin. Ihre Masken hat sie im Set für Großfamilien oder ganze Pflegeheim-Abteilungen liebevoll an der Nähmaschine selbstgenäht. Endlich gibt es ein sinnvolles Recycling für übrig gebliebene Stoffe mit Blumen, Lego-, Kaktus- oder Eulenmuster. Noch dazu ist jede Maske aus diesem Atelier individuell und unterstreicht die einzigartige Persönlichkeit ihrer Träger*innen. Das Beste daran ist jedoch, wie ich finde: Sie machen unseren weiß-grünen OP-Alltag bunt und fröhlich. Deshalb sind sie in diesen Tagen auch das perfekte Mitbringsel und Geschenk.

Der/die Heim- oder Handwerker*in. Ähnlich wie bei den Mitgliedern des OP-Teams macht er/sie mit dieser Profi-Maske – variabel mit oder ohne Luft-Filterklappe – auf mich den Eindruck, dass da gerade ein Maler-, Lackierer-, Schleif- oder Spachtelprojekt am Laufen ist. Womöglich haben die Träger*innen dieses Maskentyps ihren Einsatzort gerade für wenige Minuten verlassen, um für ihre Arbeitskollegen*innen Leberkäs-Semmeln oder Fleischbrötchen für die Mittagspause zu besorgen. Vereinzelt wurden Träger dieser Gattung sogar in Ganzkörper-Schutzanzügen beim Einkaufen gesichtet. Das könnte allerdings auch auf einen Einsatz als Kripo-Beamtin*er beim nächsten Tatort hindeuten.

Das i-Tüpfelchen. Der Stoffklassiker – traditionell mit weißen Punkten auf farbigem Hintergrund – lässt seine Träger*innen äußerst stilvoll aussehen und ist zugleich ein Gute-Laune-Bringer. Ursprünglich als „Polka“-Dots von den Tanz-Röcken polnischer Frauen kopiert, hat sich auch Minnie Maus in dieses Muster für ihre Mini-Röcke, Kleidchen und Haarschleifen hoffnungslos verliebt. Farbig abgestimmt zur Kleidung ist diese Maske für seine Trägerin das wahre i-Tüpfelchen im Home-Office wie im realen Büroalltag.

Der oder die Sportliche. Nachdem die Rendite der Sportartikelhersteller nach eigenen Angaben stark unter den Ausgangssperren gelitten hat, ist diesen vermeintlichen Gesundheitsunternehmen mit der Sportlermaske als Neuheit in ihrer Produktlinie sicherlich ein rascher Gewinnzuwachs garantiert. Die Maske dieses Typs zeigt unübersehbar das sportliche Firmenlogo seitlich aufgedruckt und weist die Trägerin und den Träger als fitten Turnschuh aus. Eine derartige Maske könnte auch die Belohnung sein für unermüdliches Mitturnen von Fitnessvideos während der Zeit der Ausgangssperre.

Die/der Transparente. Sie ist sicher die Luxusausgabe unter den Schutzmasken: an einem Stirnband ist eine gewölbte, transparente Plastikfolie for dem Gesicht fixiert. Diese Maske schafft für absoluten Durchblick auf ihre Trägerin und ihren Träger und ist in Corona-Zeiten der Traum barrierefreier Kommunikation. Da wird kein Blatt vor den Mund genommen, da beißt sich keiner einen Faden an der Maske aus, an dieser Maske gibt es nichts zu meckern. Sie sorgt für Transparenz im Reden und im Tun und zeigt die wahre Schönheit ihrer Trägerin und ihres Trägers. Und zugegeben, diese Maske verleiht etwas Futuristisches. Man braucht nur noch ein Desinfektionstuch zur Hand, wahlweise auch ein Erfrischungstuch aus der Kölner Glockengasse, wenn diese Maske einmal beschlagen sein sollte.

Die Do-it-yourself-Fraktion. Mitglieder dieser Masken-Gruppierung eint die schlichte Stoffmaske – ohne Näh- oder Klebenähte, zumeist auf die Schnelle fixiert mit Gummi, Klebe- oder Stoffbändern, gerne als Prototyp aus einem Küchenrollentuch oder folkloristischem Halstuch fabriziert, das sonst nur für Wandertouren aus dem Schrank geholt wird. Das Praktische an dieser Variante ist sicherlich sein Schnelleinsatz in Notfällen, in denen alle anderen Masken und Nähmaschinen restlos ausverkauft sind.

 

Postscriptum

Einige dieser Maskentypen finden sich übrigens schon auf alten Fotos von vor rund 100 Jahren zur Zeit der Pandemie der Spanischen Grippe, als man sich in der Öffentlichkeit ebenfalls mit Schutzmasken bewegen sollte.

In Israel, wo ich wohne, gibt es seit einigen Wochen Maskenpflicht (für alle ab 7 Jahren)  in der Öffentlichkeit und 2 m Sicherheitsabstand. Geschätzte 75 Prozent tragen hier das Modell „OP-Maske“, selbst genähte Masken sieht man so gut wie gar nicht.

Unser Kindergarten in Jerusalem hat seit Montag wieder geöffnet mit halbierten Gruppen im tageweisen Wechsel. Wie stolz trugen manche Kinder am ersten Tag ihre Masken zur Schau – obwohl Kinder unter 7 Jahren davon befreit sind und im Kindergarten keine getragen werden müssen. Aber es war ihnen nicht auszureden. 3 Tage später sind bei den Kleinen in unserer Einrichtung die Masken passé. Nix mehr mit Nachahmung der Großen, sondern Rückkehr zum normalen Spiel- und Experimentierbetrieb. Das lässt auch mich hoffnungsvoll und entspannt aufatmen.