Borkum, im Sommer vor zehn Jahren. Familienfreizeit mit dem CVJM.  Mitten in einer herausfordernden Phase mit drei kleinen Kindern und ohne festen Job. Die Wochen auf der Insel waren sehr wohltuend und ich hatte überhaupt kein Bedürfnis, wieder nach Hause zu fahren. Was dann, kurz vor der Heimreise geschehen ist, dafür hatte ich lange keine Worte. Bis ich vor einigen Monaten auf einer Fortbildung die Frauenseelsorgerin Annette Jantzen gehört habe. Die hat vom Segen als einer „wilden und ungeordneten Gegenwart Gottes“ gesprochen. Und jetzt hatte ich endlich Worte für diese Geschichte.

Ich habe sie in diesem Sommer aufgeschrieben und vor Kurzem bei den SWR4 Abendgedanken erzählt:

Ich wollte noch nicht nach Hause fahren. Damals vor gut zehn Jahren. Und bin da gestanden, zwischen den gepackten Koffern und Rucksäcken, zwischen der Kiste mit Sandspielzeug und dem Kinderwagen. Drei Wochen Urlaub an der Nordsee waren vorbei; es war der letzte Tag, kurz vor der Abfahrt.

Unsere drei Kinder waren noch sehr klein. Sie sind damals ständig krank gewesen, immer einer nach dem anderen. Ich war dauerhaft müde, dazu einfach unzufrieden. Weil ich viel lieber gearbeitet hätte und einfach keine große Freude daran hatte, auch das dritte Kind zur musikalischen Früherziehung zu schleppen und die x-te Krabbelgruppe zu besuchen.

Kurzum: Ich war am Rande der Kräfte und habe zu diesem Zeitpunkt keine Perspektive gesehen, wie sich die Situation ändern könnte. In diesem Zustand bin ich damals nach Borkum gefahren, auf eine Freizeit, die von der evangelischen Kirche organisiert wurde.

Beim Gedanken, jetzt von dort wieder abreisen zu müssen, war mir zum Heulen zu Mute. Denn es würde ja genauso zuhause weitergehen. Und dann stand Andrea bereit, eine der Team-Leiterinnen der Freizeit. Sie hat angeboten, uns einen Reisesegen mit auf den Weg nach Hause zu geben. Ich habe zunächst gezögert. Ich hatte keine Erfahrung mit einem persönlichen Segen. Und überhaupt: Was sollte ich mit einem Segen anfangen? Und dann bin ich doch zu ihr gegangen, habe Koffer und Kinder stehen lassen. Andrea muss die Fragen und den Frust in meinem Gesicht gesehen haben. Sie hat mich gebeten, ein wenig von dem Leben zu erzählen, das zuhause auf mich wartet. Und dann hat sie ihre Hände auf meinen Kopf gelegt. An ihre Worte kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Ich habe auch gar nicht mehr richtig zugehört. Weil ich überwältigt war; von einem Gefühl, das ich bis dahin nicht gekannt habe. Die Berührung durch Andreas Hände hat sich ausgebreitet; wie warmer Honig, vom Kopf bis in die Zehenspitzen.

Wir sind nach Hause gefahren und ich hatte tatsächlich das Gefühl, ich gehe nicht alleine zurück. Bis heute kann ich diesen Augenblick nicht in klare Worte fassen, ich kann auch nicht richtig beschreiben, was Segen ist. Die Theologin Annette Jantzen kann es besser. Sie sagt: „Segen ist die ungeordnete, wilde Gegenwart Gottes.“ Das gefällt mir gut und kommt dem, was ich empfinde, ziemlich nahe: Der Segen hat in mir etwas in Bewegung gebracht. Was genau und wie das geschehen ist, das ist für mich nicht greifbar; es bleibt tatsächlich ungeordnet. Ein Reisesegen vermag den Alltag zuhause nicht zu ändern. Aber dieser Segen hat mir geholfen, dem Leben und seinen Herausforderungen anders, gestärkt entgegenzutreten. Gottes Gegenwart hat sich in meinen Haaren verfangen. So stelle ich mir das immer vor. Wenn mir heute der Wind manchmal die Haare zerzaust, ist die Erinnerung daran wieder da. Wild und ungeordnet.

 

Trauriges Nachwort zu dieser Geschichte: Den Text habe ich jener Andrea vor ein paar Tagen geschickt, in dankbarer Erinnerung an diesen Borkum-Aufenthalt. Und dann habe ich von ihr erfahren, dass ihr Mann – der mit ihr zusammen diese Freizeit so wunderbar geleitet hat – im vergangenen Jahr unerwartet verstorben ist. Mich hat das sehr getroffen, weil ich die beiden als Paar so voller Freude und Fürsorge, auch für einander, erlebt habe. Ich hatte deshalb gezögert, den Text auf dem Blog hier zu veröffentlichen. Jetzt tue ich es doch. Für die beiden, für Andrea und Jörg. Und hoffe, dass Andrea jetzt jene Stärkung erleben darf, die sie für so viele andere gewesen ist.

 

Annette Jantzen, „Gotteswort, weiblich – Wie heute zu Gott sprechen?“