Stefanie Beck ist Sozialpädagogin mit dem Schwerpunkt Musiktherapie im Hans-Sponsel-Haus in Würzburg. Sie gibt uns Einblick in ihren Pflegealltag während der Pandemie:

Wie hast Du die Situation des COVID-19 Ausbruchs wahrgenommen?
Durch den Ausbruch von Corona wurde meine Musikgruppe komplett gecancelt. Dadurch, dass die Bewohner*innen in Zimmerisolation kamen und zudem viele Kolleg*innen erkrankt waren, habe ich vermehrt hauswirtschaftliche und organisatorische Tätigkeiten übernommen. Was leider eine meiner Tätigkeiten war, war die Isolation der Bewohner*innen aufgrund der Auflagen des Gesundheitsamtes.

Wie ist die Situation jetzt, da wieder Begleitungen möglich sind?
Anfang Mai wurde die Zimmerisolation aufgehoben und die Bewohner*innen dürfen sich wieder frei auf den Wohnbereichen bewegen. Auf unserem Wohnbereich haben wir angefangen, mit den Bewohner*innen an deren Mobilität zu arbeiten, weil die Bewohner*innen, die 6 Wochen im Zimmer isoliert waren, massive Mobilitätsprobleme haben. Gestern konnte ich zum ersten Mal in den Zimmern bei den bettlägerigen Bewohner*innen Musik machen und habe einzelne Bewohner*innen dazu vor ihre Zimmertür auf einen Stuhl gesetzt. Wir hatten wahnsinnig viel Spaß!

Wie war die Begleitung während der Quarantäne möglich und wie reagieren die Bewohner*innen jetzt?
Begleitungen fanden nur in Einzelbetreuungen in den Zimmern statt, etwa mit Stadt-Land-Fluss, Gedichten und Kommunikations- und Gedächtnistraining. Ich konnte wegen der Schutzkleidung keine Musik machen. Nach der Öffnung der Quarantäne reagierten die Bewohner*innen ganz, ganz glücklich. Es herrschte fast eine ausgelassene Stimmung. Die Bewohner*innen saßen sich mit Abstand gegenüber und es waren auch Reaktionen wie „Ach schön, du lebst auch noch“ dabei.

Was ist für Dich die größte Schwierigkeit in dieser Situation?
Für die Bewohner*innen war die Isolation ganz heftig. Sie haben sich zum Teil selbst als Gefangene und die Situation als „schlimmer als im Gefängnis“ bezeichnet. Wir arbeiten auch mit dementen Menschen, die zum Teil als Reaktion auf unsere Schutzkleidung wirklich Angst und Panik bekommen haben. Beispielsweise schrie eine Bewohnerin, sie wolle nicht in die Gaskammer abtransportiert werden. Das Durchführen der Umzüge berührt einen auch persönlich, denn es sind Menschen, mit denen man jahrelang in Kontakt ist, die man kennt, mit denen man schöne Stunden verbracht hat. Plötzlich muss man ihnen erklären: Du bist jetzt infiziert, du musst jetzt isoliert werden. Für die Bewohner*innen im Pflegeheim, die auf einige Quadratmeter begrenzt leben, ist es fast utopisch, dass sie aus der Situation etwas Positives mitzunehmen, denn sie verbringen ihre letzten Tage, Monate oder Jahre im Pflegeheim. Für die Menschen, die zum Großteil den Zweiten Weltkrieg durchlebt haben, ist es natürlich oft eine bittere Erfahrung, am Ende ihres Lebensalters diese totale Isolation durchleben zu müssen.

Erfährst Du als Mitarbeiter*in Wertschätzung und Unterstützung?
Für mich sind aktuell die Gegendemonstrationen schlimm. Da war ich kurz davor, diese Demonstrant*innen ins Pflegeheim einzuladen. Wir hatten Kolleg*innen unter 40, die im Krankenhaus waren und mit Sauerstoff versorgt wurden. Professionelle Unterstützung ist da: Wir haben das Angebot der Krisenintervention und einen psychosozialen Dienst in der Einrichtung selbst. Wobei ich gemerkt habe, dass der Austausch mit anderen Kollegen sehr viel wichtiger war. Das Personal wurde in den Schichten und aus anderen Einrichtungen aufgestockt, wir bekamen Unterstützung von der Feuerwehr, vom Katastrophenschutz. Gerade in der Osterzeit haben wir sehr viel Aufmerksamkeit bekommen, auch von anderen Einrichtungen, die uns mit Durchhaltepaketen für Mitarbeiter*innen und Bewohner*innen versorgt haben. Wir sind als Team enorm zusammengewachsen und man spürt den Zusammenhalt in dieser Krise.

Welches konkretes Erlebnis hat in letzter Zeit einen besonderen Eindruck bei Dir hinterlassen?
Eine ganz liebe, herzige Bewohnerin aus meiner Musikgruppe wurde positiv getestet und ich musste ihr mitteilen, dass sie aus gesundheitlichen Gründen isoliert wird. Das hat mir in der Seele weh getan. Ich denke gerade an ihre strahlend blauen Augen, ihr liebes Lächeln, eine tolle Frau. Sie saß einfach nur in ihrem Rollstuhl und hat ganz leise geweint und gesagt „Steffi, ich hab so Angst“. Ich habe zu ihr gesagt: „Ich bringe Sie an einen Ort, an dem man mehr auf Sie aufpassen kann.“ Im Hintergrund standen schon die Männer vom Katastrophenschutz, die uns bei den Umzügen unterstützt haben. Anders wäre es nicht möglich gewesen, an einem Tag standen elf Isolationen an. Als ich diese Bewohnerin in ihrem Rollstuhl aus dem Wohnbereich herausfahren musste, tat mir das in der Seele weh. Da musste ich wirklich schlucken und noch mehr habe geschluckt, als ich die Nachricht bekam, dass sie es nicht überlebt hat. Es hat mir unendlich Leid getan, dass ich sie mit ihrer Angst gehen lassen musste und keine Möglichkeit mehr hatte, mich noch einmal von ihr zu verabschieden. Das war dieses Gefühl der Machtlosigkeit: Du stehst diesem Virus gegenüber und musst professionell bleiben, aber im Grunde sterben Menschen und du kannst es nicht beeinflussen. Und du musst es später den anderen Bewohner*innen erklären, die noch leben. So stand ich an unserer Pinnwand und wir haben uns die Bilder von der letzten Weihnachts- und Faschingsfeier angesehen. Dort waren die Bewohner*innen noch in ihren Kostümen abgebildet und heute fehlen einige von ihnen. Wir konnten nicht einmal Abschied nehmen oder mit den anderen Bewohner*innen eine Gedenkfeier machen, ein Bild aufstellen, ein Solarlicht, Lieder singen. Das alles war jetzt in dieser Zeit nicht möglich, weil die Bewohner*innen isoliert waren. Das bewegt mich, ganz klar.

Was wünschst Du Dir für die kommende Zeit?
Dass die Bewohner*innen endlich wieder Besuch bekommen können und dass für sie wieder etwas Normalität einkehrt. Dass kein Bewohner*in mehr an Corona erkrankt und alle, die jetzt gesundheitlich angeschlagen sind, schnell wieder gesund werden.

Wir danken Stefanie Beck sehr für ihre Bereitschaft in dieser herausfordernden Pandemiesituation ihre Eindrücke zu teilen. Das Interview führte Franziska Schmid, Theologiestudentin an der Universität Freiburg.
Dieser Text ist entstanden im Rahmen des Projektes „Corona-Perspektiven“ der Jungen AGENDA, einem Zusammenschluss junger katholischer Theologinnen. Die jeweiligen Autor*innen beleuchten ihre Perspektiven auf die aktuelle Situation im Hinblick auf verschiedene, weniger sichtbare gesellschaftliche Gruppen. AGENDA – Forum katholischer Theologinnen e.V. ist aus dem KDFB hervorgegangen. Die Junge AGENDA wird von der KDFB-Frau Sarah Delere koordiniert.