Als Familienfrau mit alten Eltern und erwachsenen Söhnen stelle ich mir jedes Jahr neu die Frage: Wie feiern wir als Familie Weihnachten? Schaffen es meine Eltern noch, uns alle an Heiligabend zu sich einzuladen? Können sie noch – und das ist ihnen sehr wichtig! – selbst das traditionelle „Menü“ kochen: Markklößchensuppe und Kochfleisch mit selbst gemachter Remoulade, die die Enkel besonders lieben? Und sind meine Söhne, die längst in festen Beziehungen leben, an Heiligabend wieder mit dabei oder bilden sie neue Traditionen mit ihren Freundinnen und deren Familien?

Bis 2019 war alles „beim Alten“. Nur, dass wir uns an Heiligabend, mit den gleichen Familienmitgliedern wie immer, bei meiner Schwester trafen. Sie hat mehr Platz und meine Mutter konnte sich an einen gedeckten Tisch setzen. Wobei: gekocht hat sie trotzdem. Siehe oben.

Doch in diesem Jahr?

Schon seit Wochen kreist die Frage durch alle Gespräche: Wie machen wir es an Weihnachten? Meine Versuche, die Entscheidung erst am 4. Advent zu treffen, weil erst dann bekannt sei, was überhaupt erlaubt ist, versagten kläglich. Alle hatten Ideen zum Fest. Alle machten Vorschläge. Also gut… dann versuchen wir das mal zu koordinieren.

Doch meine Söhne riefen letzte Woche unabhängig voneinander am gleichen Tag bei mir an: Sie möchten Oma und Opa (beide gesundheitlich angeschlagen und zur Risikogruppe gehörend) schützen. Deshalb wollen sie über die Weihnachtstage nicht zu ihnen gehen. Sie haben beruflich mit vielen Menschen zu tun, Johannes in einer Behörde mit Publikumsverkehr. Simon und Franzi sind am 4. Advent auch noch umgezogen, was nicht ohne Helfer*innen möglich ist.

Am Ende dann die Frage: „Sagst du es der Oma? Du siehst sie doch morgen sowieso.“

Oh ja, ich weiß, warum sie diese Frage stellten. Sie wissen ja, wie wichtig der Oma diese Feiertage sind. Wie sehr sie wochenlang darauf hinlebt, ihre Enkel zu sehen, die zum Teil weit entfernt wohn(t)en. Sie möchten die Enttäuschung in Omas Stimme nicht hören, ihre Traurigkeit nicht aushalten müssen.

Ich sagte „Nein, das mach bitte selbst. Die Oma freut sich immer über deine Anrufe. Und du hast gute Gründe, warum du sie an Weihnachten nicht treffen wirst. Nur Mut.“

Als ich meine Mutter abends traf, erzählte sie mir, meine beiden Jungs hätten angerufen. Es sei schön gewesen, mit ihnen zu telefonieren. Ich dachte: wann kommts? Wann äußert sie ihre Trauer über die Absagen?

„Weißt du, sie haben beide gesagt, dass sie an den Feiertagen nicht zu Besuch kommen. Sie treffen ja im Beruf so viele Leute. Meine Güte, als ob es nicht egal wäre, wenn man sich ein paar Tage später sieht. Darauf kommt es doch wirklich nicht an. Ich finde es toll, dass sie so verantwortungsbewusst sind. Und eigentlich bin ich erleichtert. Ich hatte mir auch schon Gedanken gemacht, ob ich sie nicht ausladen müsste. Und das hätte ich wohl nicht übers Herz gebracht. Sie haben entschieden, und das ist gut so.

Und an Opas Geburtstag, am 28., hatten sie ja schon 10 Tage ohne Außenkontakte. Dann sehen wir uns. Das wird schön.“

Ein Weihnachtswunder? Vielleicht.

Auf jeden Fall wissen wir nun, dass es auch anders geht. Dass unsere Traditionen schön, aber nicht festgefahren sind. Und dass wir uns in diesem Jahr besonders freuen, einander zu sehen. In Etappen. Und anders. Mit den beiden „Jungs“ und ihren Freundinnen treffe ich mich am Vormittag des 24. zu einem gemeinsamen Waldspaziergang. Kein Treffen in geschlossenen Räumen. Dafür ist auch nächstes Jahr noch Gelegenheit. Zum Beispiel in der neuen Wohnung von Simon und Franzi.