Sarah Paciarelli schreibt:

Am 26. September schrieb die Schweiz Geschichte. Das direktdemokratische Land stimmte darüber ab, ob die Ehe für alle eingeführt werden soll, und hat endlich Ja gesagt!

Wer einen Abstimmungswahlkampf in der Schweiz schon mal erlebt hat, weiss, dass es dabei heiß zugehen kann. Besonders gesellschaftspolitische Themen führen die ganze Nation immer wieder in kollektiven Aufruhr. An den öffentlichen Debatten zur Ehe für alle mischten auch Katholik:innen mit – mit sehr widersprüchlichen Positionen.

Für eine glaubwürdige Kirche

Der Schweizerische Katholische Frauenbund SKF spricht sich bereits seit 2001 für eine Öffnung der zivilen und kirchlichen Ehe aus. Die Verweigerungshaltung des Vatikans gegenüber queeren Menschen ist ebenfalls bekannt. Und dennoch war es erst die öffentliche Debatte im Vorfeld der Abstimmung, die das mediale Interesse an unserer Befürwortung und der Ablehnung seitens der Schweizer Bischofskonferenz befeuerte.

Samenspende für alle

Obwohl wir über ein zivilrechtliches Gesetz und nicht über das Sakrament der Ehe abstimmten, beteiligte sich die katholische Kirche rege am öffentlichen Diskurs und gab zu Protokoll, dass «die Debatte nicht richtig geführt wird, da die ethischen Auswirkungen im Zusammenhang mit der Fortpflanzungsmedizin und dem Recht des Kindes weittragend» seien. Durch die Ehe für alle erhalten nämlich auch lesbische Paare Zugang zur Fortpflanzungsmedizin, die in der Schweiz bisher nur verheirateten Heteropaaren offenstand. Ja, Sie lesen richtig! Im Gegensatz zu Deutschland können unverheiratete Paare oder Single-Frauen ihren Kinderwunsch in der Schweiz nicht durch eine Samenspende in Erfüllung gehen lassen.

Demokratie vs. katholische Sexualmoral

Plötzlich ging es in der öffentlichen Debatte nicht mehr um ein Gesetz, das die Diskriminierung von Homo- und Bisexuellen beseitigen würde, sondern um das angeblich in Gefahr geratene Kindswohl. Dieses sei in Gefahr, so die besorgten Stimmen, dass es Kindern schaden würde in gleichgeschlechtlichen Familien aufzuwachsen und seine biologische Herkunft nicht zu kennen. Zumindest bis zum 18. Lebensjahr, denn dann erhalten Kinder aus Samenspenden diese Information, wenn sie es wünschen. Es schien stellenweise so, als ginge vergessen, dass dies für heterosexuelle Paare längst gilt. Es schien übergangen zu werden, dass die Ehe für alle Kinder schützt, indem sie gleichgeschlechtlichen Paaren den Zugang zum Stief- und Volladoptionsverfahren ermöglicht, indem sie auf diese Weise rechtliche Verhältnisse schafft, die die Beziehung von Kindern und ihren tatsächlichen primären Bezugspersonen absichert.

Ist das noch katholisch?

Ich trage den Schweizer Bischöfen ihre Haltung nicht nach, denn die argumentierten aus ihrer repressiven, katholischen Sexualmoral heraus. Diese besagt, dass Menschen nur dann Sex haben dürfen, wenn sie die Ehe eingehen. Eine Ehe eingehen dürfen aber nur ein Mann und eine Frau, die biologisch dazu befähigt sind, Kinder zu zeugen und dies auch vorhaben. Die Erschaffung neuen Lebens, im Sinne der katholischen Kirche, ist also an das Sakrament der Ehe und somit an den Fortpflanzungswillen gekoppelt. Für den SKF hingegen sollten Menschen unabhängig des Fortpflanzungswillens eine Ehe eingehen dürfen, denn die Ehe bedeutet nicht nur Leben zeugen, sondern vor allem gutes Leben geprägt von Liebe, Fürsorge und Verantwortung zu ermöglichen – ob mit Kindern oder ohne.

Ein heilsamer katholischer Glaube

Während Wochen wurde der SKF mit der Frage konfrontiert, ob es kein Widerspruch sei, in einer so grundsätzlichen Frage von der Linie der Bischöfe abzuweichen. Nein, das ist kein Problem, lautete stets unsere Antwort. Die katholische Kirche bestünde ja nicht nur aus Klerikern, sondern aus der Gemeinschaft aller Getauften. Als eine von vielen katholischen Gruppierungen spüren wir die Sehnsucht nach einer glaubwürdigen katholischen Kirche, die die Lebensrealitäten ihrer Gläubigen wahrnimmt und akzeptiert, ohne zu diskriminieren. Das Grundgebot der jüdisch-christlichen Kultur ist es, Sorge füreinander zu tragen, und die Ehe ist Ausdruck des Wunsches zweier Liebender, dies verbindlich und verantwortungsvoll zu tun – für den SKF unabhängig von Geschlecht, Geschlechtsidentität oder sexueller Orientierung ein wertvolles Unterfangen.

Sturm der Liebe

Die Reaktionen auf die öffentlichkeitswirksame Ja-Offensive des SKF waren überwältigend und überwiegend positiv. Unsere Videobotschaft hat sehr viel Zuspruch erhalten, besonders in den sozialen Medien. Viele reagierten überrascht, da sie eine so progressive Haltung nicht von einer katholischen Organisation erwarteten. Wir erhalten viele Reaktionen von Menschen aus der LGBTQIA-Community, die dankbar für das Engagement des SKF sind. Besonders nach der Teilnahme an der Zürich Pride, an der ein christlicher Block ganz vorne am Umzug mitlief. Das bestärkt uns umso mehr, denn es gilt noch viele Köpfe und Herzen zu erreichen – auch nach der Abstimmung.

Es gibt noch viel zu tun

Worunter gleichgeschlechtlich liebende Menschen und ihre Kinder leiden, sind Stigmatisierung und homophobe Vorurteile. Wir richten Schaden an, wenn wir die Existenz und die Lebensform von Queers und ihrer Familien leugnen, wenn wir gesellschaftliche Stereotype durch gesetzliche Ungleichbehandlung zementieren. Und gerade weil die religiösen Institutionen an der Schaffung negativer Bilder, Stereotype und Vorurteile gegenüber Angehörigen der LGBTQIA-Community stark beteiligt waren, ist jetzt ihre Mitwirkung bei der Schaffung neuer positiver Bilder gefragt. Das ist und bleibt auch nach der gesetzlichen Gleichstellung unsere Aufgabe. Packen wir es an!

Sarah Paciarelli hat Soziologie und Kommunikation studiert. Sie ist eine von zwei Kommunikationsverantwortlichen des Schweizerischen Katholischen Frauenbunds SKF mit Sitz in Luzern. Ihr Job bei einer katholischen Frauenorganisation stösst oft auf Verwunderung. Katholisch und feministisch, geht das?

Die Berlinerin mit polnisch-italienischen Wurzeln lebt seit 2015 mit ihrer Hündin Lotti in Zürich. Der SKF Schweizerischer Katholischer Frauenbund ist mit 120‘000 Mitgliedern, 18 Kantonalverbänden und 600 Ortsvereinen der grösste konfessionelle Frauendachverband der Schweiz und engagiert sich für die Rechte aller Frauen in Gesellschaft, Kirche, Wirtschaft und Politik. www.frauenbund.ch

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One Comment

  1. Ulrike Gerdiken 29. November 2021 at 21:49

    Eine so klare Haltung wünsche ich mir auch von meinem Frauenbund. Leider sind wir, wenn es um die sakramentale Ehe und das Verständnis von Familie geht, immer noch sehr auf der katholischen Linie. So heißt es in unserer Broschüre „Leben in Beziehungen“, dass die sakramentale Ehe heterogeschlechtlichen Paaren vorbehalten bleiben soll, für gleichgeschlechtliche Paare wird nur eine Segnungsmöglichkeit gefordert. Beim Thema Kinderwunsch wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Kinder vor allem in eine heterosexuelle Beziehungngehörten, weil jedes Kind ein Recht auf Vater und Mutter habe. „ Der Wunsch von Singles und homosexuellen Paaren nach einem Kind darf dieses Recht nicht relativieren.“ (ebd.) Da ist noch viel Luft nach oben. Vielleicht greift gebt Ihr Schweizerinnen uns ja etwas Aufwind.

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