Schon lange hatten wir für den gestrigen Tag unsere Stuttgarter Frauenkirche „Unter freiem Himmel“ geplant. Es sollte wieder ein sommerlich-lauer Abend im Kirchhof von St. Georg werden. Eine freie Liturgie mit einem offenen Mittelteil, in dem wir die Frauen einladen wollten, durch den Stuttgarter Norden zu streifen und mit Texten von Madeleine Delbrêl nach Gott zu suchen. So wie Madeleine Delbrêl sagt: „Brecht auf ohne Landkarte – und wisst, dass Gott unterwegs zu finden ist, und nicht erst am Ziel.“

Dann kam die Wettervorhersage. Dauerregen – das war tagelang die Prognose für Mittwoch Abend. Noch gestern Morgen sagte mein Wetterdienst 80% Regenwahrscheinlichkeit voraus. Ich sah unseren schönen Sommerabend davonschwimmen. Wusste, dass die angemeldeten Frauen nicht Corona-konform in die Kirche passen würden. Konnte mir auch ausmalen, wie inspirierend ein Spaziergang durch Stuttgarts Norden ist, wenn es aus Kübeln regnet.

Ich versuchte, meine Sorgen im Zaum zu halten. Wir sind ja inzwischen geübt darin zu improvisieren, machte ich mir selbst Mut. Mit dieser Einstellung fuhr ich von zuhause aus los Richtung Stuttgart.

Als ich ankam, traute ich meinen Augen nicht: Der Himmel hatte sich gelichtet! Sonnenstrahlen brachen durch die Wolkendecke. War das zu glauben? Die anderen Frauen des Vorbereitungsteams schauten ebenso ungläubig wie ich. Wir stellten Stühle im Halbrund auf dem Kirchplatz auf. Prüften immer wieder die Wetter-Apps. Doch die Dauerregen-Prognose war unter merkwürdigen Umständen einer Sonnenschein-Prognose gewichen…

Dann war es Zeit für den Gottesdienst. Die Frauen trudelten vergnügt ein. Machten es sich bequem auf Stühlen, Hockern und der Mauer. Freuten sich an der Sonne, am Himmel, an der Gemeinschaft. Wir legten los. Unsere junge Musikerin hüllte uns in französische Akkordeonklänge. In Gedanken fühlten wir uns wie im Straßencafé von Paris.

Wir lernten gemeinsam den Lebensweg von Madeleine Delbrêl kennen und hörten die Bibelstelle aus Mt 6 „Macht euch keine Sorgen…“ Wie wahr an diesem Abend! Dann schickten wir die Frauen auf ihren Weg.

Die Aufgabe: Gott suchen. Im Pragfriedhof. Auf dem sogenannten „Stadtacker“, wo Urban gardening und eine Künstlerkolonie zusammentreffen. An der Gedenkstätte „Zeichen der Erinnerung“, wo als bleibendes Mahnmal immer noch die Bahngleise der Deportation jüdischer Mitbürger*innen durch die Gestapo zu sehen sind. Oder in der belebten Nordbahnhofstraße, dem alten „Straßenbahnerviertel“. Viele Möglichkeiten, sich selbst zu begegnen und von Gott berührt zu werden.

Als die Frauen zurück kamen, blickten wir in nachdenkliche, gerührte, strahlende, andächtige Gesichter. Irgendwo dort draußen war Madeleine Delbrêls Vorhersage wahr geworden. Gott ist zu finden, mitten auf der Straße, mitten in der Stadt.

Noch einmal ließen wir uns von der wunderbaren Mystikerin einladen. Sie fordert uns auf, unser Leben in den Armen Gottes zu tanzen. Zu Walzerklängen drehten wir uns im Kreis und fühlten uns frei. Ich glaube nicht, dass Männer sich dazu hätten verleiten lassen. Wir Frauen aber hatten keine Mühe damit. So ging eine besondere Liturgie bewegt zu Ende. Unter freiem Himmel. Ja, der Himmel meinte es gestern wahrlich gut mit uns!