Gerade kommen wir von unserem traditionellen Silvester-Spaziergang zurück. Jedes Jahr machen wir uns als Familie am letzten Tag des Jahres gemeinsam auf den Weg durch den Wald und stellen uns dabei Fragen: Was war für dich besonders schön in diesem Jahr? An welches lustige Ereignis erinnerst du dich? Was war schlimm? Abwechselnd rufen wir uns in Erinnerung, was wir gemeinsam oder auch ganz persönlich erlebt haben.

Bei diesem Rückblick fällt mir auf: Das Jahr 2020 hatte für mich eine erstaunliche Bandbreite! Einerseits: Es gab genügend schwere Momente. Situationen, in denen mich die Angst vor dem unberechenbaren Virus und seinen Folgen gepackt hat. Zähes Homeschooling, Woche um Woche. Krankheitsereignisse in der Familie, die mich geschlaucht haben. Schmerzliche Geduldsproben, wenn immer wieder alle Pläne über den Haufen geworfen wurden.
Aber heute auf dem Spaziergang war ich überrascht, wie viele besonders schöne Augenblicke mir ebenso einfielen: Die Radtour zum Affenberg in Salem in den Pfingstferien zum Beispiel. Ein unvergesslicher Besuch im Münchner Freibad mit dem wunderbaren Namen „Maria Einsiedel“, das einen eiskalten Isar-Kanal besitzt, in dem ich mich im brütenden Sommerwetter abkühlen konnte. Oder der Frauenkirche-Gottesdienst am Freitag vor dem 1. Advent, in dem wir ein kleines Konzert mit Harfe und Posaune erleben durften, eine wahre innere Tankstelle in einer sonst kirchlich eher sterilen Zeit. Auch dieser Blog gehört zu den Gewinnen dieses Jahres, und ich bin froh, dass er es durch alle Zweifel hindurch geschafft hat, Ausdruck unserer Verbundenheit im Frauenbund zu bleiben.

So erfüllt mich heute Abend erstaunlicherweise viel Dankbarkeit. Dankbarkeit, dass wir uns einen positiven Blick behalten konnten, trotz persönlicher Mühsal, trotz beruflicher Anstrengungen, trotz gelegentlicher tief gehender Verunsicherung. Stärkend war immer wieder die konkret erlebte Solidarität. Sie hatte für mich eine besondere Kraft. Was immer geschieht, es gibt viele Menschen, die an ihrem Platz das Nötige und Gute und Hilfreiche tun – das ist eine vertrauensstiftende Erfahrung, die mich sehr berührt.

Jetzt verabschiedet sich das Jahr leise. Das ist angemessen, finde ich. Nach einem Jahr voller Aufregungen und Seltsamkeiten, voller Zumutungen und Zweifel ist Stille eingekehrt. Sie ist uns verordnet, aber ich kann sie auch genießen.
Gleichzeitig weiß ich, dass das nicht für alle Menschen so ist. Viele werden nicht versöhnt auf dieses Jahr schauen können, weil es ihnen viele Möglichkeiten geraubt hat, weil es sie an ihre Grenzen brachte, weil sie trauern, weil sie mit ihrer Einsamkeit den Preis für die vielen Schutzmaßnahmen bezahlen mussten. Sie haben recht, wenn sie heute Abend mit Wut und Trauer ringen.

So gehen wir, wie immer uns zumute ist, über die Schwelle in das neue Jahr. Mutig oder ängstlich, bangend oder hoffend, traurig oder freudig. Alles ist erlaubt. Statt der Raketen können wir in diesem Jahr unsere Empfindungen ganz ehrlich zum Himmel schicken und unsere Herzenswünsche für das nächste Jahr gleich hinterher.

Möge der Himmel uns hören.