Der Allerheiligentag war ein heller, sonniger Tag, der die vielen bunten Farben der frisch gepflanzten Herbstblumen auf den Gräbern leuchten ließ. Fast schien es so, dass die Sonne auch die Menschen an ihren Gräbern noch wärmte, die Familien, die zusammenstanden – und auch die, die alleine vor ihren Gräbern auf den Segen warteten an diesem goldenen Allerheiligentag 2021. Alle gemeinsam wurden in diesem Jahr von den freundlichen Strahlen der Sonne umfangen wie von einem Segen.

Heute ist Volkstrauertag, und das Wetter ist ziemlich trübe. Mit dem Volkstrauertag fremdele ich eh ein wenig – ein Tag, der historisch missbraucht wurde, um eine fragwürdige und oft chauvinistische Heldenverehrung durchzusetzen.  In der Gegenwart gibt es staatlicherseits allerdings eine deutlich veränderte Sicht auf diesen Tag: Es wird der Opfer von Kriegen und Gewalt aller Nationen gedacht.

Wovon ich eigentlich schreiben will, das ist meilenweit von allen kollektiven Ansätzen der Trauer entfernt, es ist eine kleine, fast winzig zu nennende, wiederkehrende Erfahrung, die ich seit Jahren mache. Vor mittlerweile acht Jahren habe ich meinen Mann, haben meine drei Kinder den Vater verloren. Eine lange Zeit des Schmerzes, des als grausam erlebten Verlustes, des Vermissens lag damals vor uns. – Seitdem hat sich viel Gutes gefügt. Ich bin so froh, dass ich unser Familienhaus halten konnte und die groß gewordenen Kinder immer wieder „einfliegen“ können. – Neue Kontakte, neue Aufgaben, haben sich ergeben, wurden mir geschenkt. Mein verändertes Leben bekam spannende Akzente, neue Farben gesellten sich hinzu, die Frauen des Frauenbundes bereichern in ihrer Stärke und schönen Verschiedenheit mein Leben. Ich habe wirklich reichlich Arbeit, die mir wichtig ist, manches bleibt allerdings deshalb auf der Strecke.

Nach so langer Zeit steigen Trauer, Verlust, Schmerz viel seltener empor. Aber es gibt ein Phänomen, das ich einmal beschreiben möchte. An Wochenenden, bevorzugt sonntags, legt sich, sozusagen knapp vor meinem endgültigen Aufwachen, eine Traurigkeit auf mein Denken und Fühlen. Ich denke, es ist der tiefe Verlust, der sich in diesem Grau niederschlägt. Noch bevor ich richtig wach werde, noch bevor ich denken kann, ist dieser Mehltau da. Kurz. Es ist nicht schlimm. Kein durchdringender Schmerz, nur (m)eine kleine Sonntagstrauer. Sie nutzt ihre Chance, denn anders als werktags, wo es immer zügig gehen muss, lässt der Sonntag Raum für sie. Immer wieder bin ich aufs Neue überrascht, dass sie da ist, meine Sonntagstrauer. Ich wundere mich, woher sie weiß, dass es Sonntag ist, noch ehe ich richtig „da“ bin. „Ick bin allhier“, rief der Igel dem Hasen zu, und so geht es mir mit dieser Trauer, die irgendwie immer vor mir und meinem Bewusstsein da ist.

Die von mir geschätzte Dichterin Christine Lavant spricht in ihrer Dichtung vom „erzgescheiten Leib“. Ja, auch dieses kleine wochen-endliche Trauerintermezzo kommt vermutlich aus großer Tiefe.  – Werkstags zeigt sich diese Traurigkeit übrigens nicht auf diese Weise, da haben offensichtlich andere Dinge und Gefühle die Oberhand. So bleibt mir die kleine, aus großer Tiefe aufsteigende Sonntags- oder Wochenendtraurigkeit, die mit dem Aufstehen fast immer weicht. Ich bekämpfe sie nicht  – wie auch – ich denke, sie gehört zu mir, zu meiner, zu unserer Geschichte, zu meinem Leben.