Ja, ich weiß, nicht das Beginnen, das Durchhalten wird belohnt. Und an dem kommen mir täglich Zweifel. Noch immer keine Normalität aus Coronazwängen in Sicht. Gerade in Bayern immer noch strikte Regeln bezüglich Zusammenkünften, Feiern, Besuchen in Heimen und Krankenhäusern.  Essen gehen, Kaffeeplausch und kleine Treffen in Desinfektionsmittel-geschwängerter Luft schmecken nicht.  Die kirchliche Hochzeitsfeier meines Sohnes ist abgesagt – wie so viele andere Feste auch – und auf 2021 verschoben.  Jetzt macht das junge Paar in Hamburg einen kleinen Urlaub. Und eröffnet dazu eine whats-app-Gruppe: Fast Hochzeitstag. Bitter-süß und voller Wehmut.

Eine gute Bekannte erzählt von der wieder aufflammenden juvenilen Depression ihrer schulpflichtigen Tochter, deren Schulpflicht schon seit vielen Wochen auf Eis liegt. Auch sie in Wartestellung und auf der Lauer nach dem, was kommen wird. Für mich gilt langsam wieder regelmäßiger Präsenzunterricht. Ich glaube, mein Mann ist ebenso erlöst darüber wie ich. Endlich ein paar feste Größen im träge dahinfließenden Alltag, ein wenig mehr von außen verordnete Struktur  – sie dauerhaft selbst zu bestimmen liegt mir nicht. Nein, liegt uns beiden nicht!

Auf hohem Niveau, ich weiß, aber dennoch ist ein anhaltendes Lamento: Ich sehne mich nach Austausch und der persönlichen Begegnung. Nicht der Bildschirm, nicht das Foto wecken meine Lebensgeister, nein, selbst das Telefon ist mir zu wenig. Ich liebe die 1000 kleinen Falten im Gesicht meiner Mutter, die ich nur dann lebendig wahrnehme, wenn sie mich ansieht und mir direkt erzählen kann. Ich brauche das Strahlen in den Augen meiner Freundinnen, ihre spontanen Bemerkungen und kleinen Sticheleien, lustig und ohne großes Drumherum beim „mal eben treffen“. Selbst der kurze Augenblick, einen Schüler beim Einkaufen zu erkennen und anzulächeln lässt meinen Blutdruck fröhlich steigen.  Alles das ist im gegenwärtigen Lebensalltag so umständlich einzufädeln wie eine Autobahnfahrt mit angezogener Handbremse – und genauso freudlos.

Dennoch hoffe ich, warte, versuche mich in Geduld. Die braucht man bekanntlich dann am meisten, wenn sie gerade ausgeht. Gott, du mein Gott, warum bist du so fern?

Mein Blick fällt auf die Mohnblumen vor unserer Terrasse: ohne Erdreich und Wasser, aber schöner als so manche Kostbarkeit im Beet. Mögen meine derzeit innerlich trüben Tage auch mal solche Früchte tragen. Heut seh ich davon herzlich wenig — Und doch hieß es am Fronleichnamstag: Seht die Lilien des Feldes… Ja, ich weiß, nicht das Beginnen wird belohnt sondern das Durchhalten.