Ich sitze an unserem zum Arbeitsplatz umfunktionierten Wohnzimmertisch und versuche mich am ersten Blogeintrag meines Lebens. Ein Stockwerk höher sitzt mein Sohn und bearbeitet tapfer die Schulaufgaben, die diese Woche dran sind. Mein Mann ackert sich im Arbeitszimmer von Telefonkonferenz zu Telefonkonferenz. Homeoffice zu dritt. Wir haben die Bandbreite unseres Internetanschlusses erhöhen lassen. Sicher ist sicher.

Es sind surreale Zeiten. Immer wieder überlege ich, ob ich nicht einfach aus dem Corona-Albtraum erwachen kann, und alles ist wieder normal. Aber es geht nicht. Die Welt ist aus den Fugen geraten, und niemand entkommt. Jeden Tag gibt es neue Beschränkungen, wie wir sie alle noch nie erlebt haben. Seit einer Woche sind die Schulen geschlossen. Es fühlt sich bereits wie eine halbe Ewigkeit an. Nun ist auch noch der Aufenthalt im öffentlichen Raum auf ein Minimum beschränkt. Die Politikerinnen und Politiker treten täglich vor die Presse und erklären die drastischen Schritte in der schlimmsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Mein Kopf sagt, dass sie es gut machen, wenn sie so entschieden durchgreifen. Mein Herz fragt bang, was Schlimmes sonst noch auf uns zukommt und wie lange all das dauern wird.

Unwillkürlich muss ich an meine Oma denken. Sie hat drei Kinder durch die Kriegszeit gelotst. Zwei der Kinder, darunter meine Mutter, wurden zwischen Hunger und Angst geboren. Unvorstellbar! Was sie mir wohl heute sagen würde? Die Frauen damals waren Meisterinnen, mit dem Unwägbaren umzugehen. Haben jeden Tag allen Mut und alle Kraft zusammengenommen und weitergemacht. Für ihre Kinder, für ihre Männer an der Front, für sich selbst. Und für andere Frauen, denen es genauso erging wie ihnen selbst. Gelegentlich habe ich Schilderungen gehört, wie wichtig damals Frauenbundgruppen waren. Als Rückzugsort, als Austausch. Als Nest des Widerstandes. Als unerschütterliches Netz der Frauensolidarität.

Sicherlich war die Kriegszeit damals ganz anders als die Corona-Zeit heute. Der Krieg war um so vieles grausamer und unberechenbarer. Und er war menschengemacht. Aber in meinem Nachdenken wird mir klar, dass in Krisenzeiten, ob damals oder heute, gleiche Mechanismen greifen. Und dass alles, was damals stark gemacht hat, auch heute stärken kann.

So sitze ich im Wissen um unsere mutigen Ahninnen an meinem Laptop und schreibe meinen ersten Eintrag für den Blog des Frauenbundes. Wir haben den Plan gefasst, über die nächsten Tage und Wochen unsere Gedanken aufzuschreiben. Uns zu vergewissern, wo wir stehen, was wir denken und fühlen, was sich verändert, was diese Zeit mit uns macht. Und jeden Tag das, was uns bewegt, mit anderen Frauen zu teilen: unsere Verzagtheit und  unseren Mut, unsere Ratlosigkeit und unsere Hoffnung, unsere Erinnerungen an andere Zeiten und unsere Fragen an die Zukunft. So soll ein großes Netz des Austauschs, der Solidarität und der Stärkung entstehen. Wir sind gespannt, was daraus erwächst. Und wie wir selbst wachsen in dieser Zeit, die so besonders ist.

 

Geistliche Beirätin des KDFB Rottenburg-Stuttgart - Als Seelsorgerin frage ich in der Coronazeit nach dem, was uns in Krisenzeiten stützt und hält. Als Familienmama und neuerdings Homeschooling-Lehrerin mache ich neue Erfahrungen des Familienlebens. Ich teile meine Gedanken in diesem Blog, weil ich es kostbar finde, einander Anteil zu geben an dem, was uns in dieser besonderen Zeit bewegt.

One Comment

  1. Cornelia Voßloh 1. April 2020 at 15:39

    Liebe Frau Schmidt, Ihr Vergleich mit der Kriegszeit hat mich zum Nachdenken gebracht. Meine Mutter ist 1943 geboren – also mitten im Krieg. Und gerade in den letzten Tagen habe ich oft mit ihr gesprochen, wie es wohl für meine Oma gewesen sein muss, in solchen Zeiten ein Baby – noch dazu mit 42 Jahren einen Nachzügler – zu erwarten…
    Ihnen alles Gute und – bleiben Sie gesund!

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