Wir haben nochmals Licht und Farben gesammelt am Wochenende. Bevor Corona uns wieder mehr zuhause sein lässt. Wir sind spontan ins Auto gesessen und so lange gefahren, bis wir die Berge gesehen haben. Das heißt für uns: rund zwei Stunden, dann sind wir in Oberschwaben; und jedes Mal aufs Neue überkommt mich eine staunende Ehrfurcht, wenn die Alpen vor mir auftauchen.

Ausgestiegen sind wir dann in Bad Wurzach, Moorheilbad und die Gemeinde mit dem größten intakten Hochmoor Europas. Über Stege und Pfade haben wir diese wundervolle Landschaft erkundet, mit der Fotokamera habe ich versucht das festzuhalten, was mich fasziniert hat; schwarzes Wasser in gelb-goldenem Schilf, weiß-knorrige Birken unter blauem Himmel. Ich wolle erst gehen, als die Dämmerung hereingebrochen ist.

Wir sind dann nicht nachhause gefahren, sondern noch über Nacht in einem kleinen Hotel in der Gegend geblieben. Ich hatte zunächst ein etwas schlechtes Gewissen; muss doch nicht sein, „nicht notwendige Kontakte vermeiden“, so hatte ich die Kanzlerin im Ohr und gebe ihr recht. Wir haben uns trotzdem fürs Unterstützen der Gastwirte entschieden und haben dort ausreichend Abstand und Hygienemaßnahmen erlebt. Wir haben erfahren, dass es in dieser Gemeinde mit über 4.000 Einwohnern aktuell nur eine Handvoll Corona-Fälle gibt. Trotzdem trägt auch die Gastwirtin die Schließung mit, niemand beschwert sich. Das einzige, was eine der Servicemitarbeiterinnen sich erhofft ist, dass dieses Mal wirklich alle Menschen mitmachen und die Schließung wenigstens nicht sinnlos ist. Sie und die Kollegen gehen auch dieses Mal wieder in Kurzarbeit. Ich habe wirklich große Hochachtung vor jedem einzelnen Betrieb und dem Engagement, mit dem sie die Herausforderungen stemmen. Sonntagmittag haben wir uns verabschiedet, alles Gute gewünscht und Wiederkommen versprochen.

Für mich steht es außer Frage, den kleinen Lockdown zu unterstützen und das auch so zu äußern. Durch die Arbeit meines Partners in der Klinik und durch seinen Blick auf die Pandemie-Lage ist mein Respekt vor dem Virus nicht kleiner geworden, im Gegenteil. Wir kennen mittlerweile zahlreiche Menschen, die an Corona erkrankt sind und erleben mit, wie schwer und manchmal völlig unvorhersehbar Verläufe der Infektion sein können. Darunter sind auch Bekannte, die noch keine 50 Jahre alt sind und intensivmedizinisch behandelt werden mussten. Vollkommen ohne Vorerkrankung – so viel zum Thema „wir müssen die Risikogruppen schützen“, wie es einige Gegner des Lockdown fordern. Ich stelle mich darauf ein, dass es nun wieder lange Klinik-Abende und kurze Wochenenden für uns werden, aber das ist ok so. Solange alle gesund bleiben, kann ich damit gut leben und will mich überhaupt nicht beschweren.

Für die Kinder heißt es nun erneut keinen Vereinssport, kein Chor, keine Freunde am Nachmittag – die Kindergeburtstage hatten wir ohnehin schon auf unbestimmte Zeit verschoben; die Kinder haben es erstaunlich gelassen hingenommen. Meine Tochter hat schon die ersten Trainingseinheiten vor dem Haus absolviert, sie spielt in der Juniorinnen-Bundesliga – Trainingspause gibt es für sie und die Mannschaft nicht, sie müssen fit bleiben für den Tag X, denn Pause könnte da ganz schnell Abstieg heißen. Der Jüngste ist heute Morgen allerdings mit sehr großem Widerwillen in die Schule gegangen; ihm wäre Homeschooling lieber, er findet es nicht fair, dass alles geschlossen ist und nur die Schulen offenbleiben. In dem Fall teile ich seine Meinung nicht 😊.

Wenn ich ehrlich bin und jetzt nur an mich denke: mich entspannt die Situation. Ich vermisse nicht wirklich viel. Ich kann weiter großenteils im Homeoffice arbeiten – und habe in diesem Monat nun wieder ganz freie Abende. Normalerweise bin ich viermal in der Woche mit Sportfahrdiensten ausgelastet plus Fußballspiel am Wochenende. Das sind sehr viele Stunden, die ich auf der Straße und in den Stadien verbringe. Ich tue es gerne – und trotzdem kann ich der erzwungenen Ruhe etwas abgewinnen. Das war schon im Frühjahr so und ich werde nach Corona alles daransetzen, dass von dieser Entspannung ein wenig übrig bleibt in meinem Leben.