Jetzt erfahre ich es selbst, oder genauer an und mit meiner Mutter, wie es ist, in (moderaten) Corona-Zeiten, Patientin zu sein:

Meine Mutter, ich hatte sie an dieser Stelle ja schon mehrmals erwähnt und von ihr erzählt, hat schon lange eine so schwerwiegende Osteoporose, dass eigentlich jeder Sturz potentielle Knochenbrüche bedeutet. Letzte Woche ist das, was sie – und wir alle – um jeden Preis vermeiden wollten, wieder passiert. Eine ganz unerhebliche, kleine Messingschwelle zur Küche war wohl der Grund des Stolperns: Serielle Rippenfraktur und ein solch komplizierter Oberarmbruch, dass dieser operiert werden musste, waren die Folge. Und in der Nacht, als es passierte, durfte ich aufgrund der Corona-Bestimmungen nicht mit ihr ins Krankenhaus und ihr beistehen, das war eine große Härte für sie – und für mich!

Nun ist unsere Mutter operiert und die normale Besuchsregelung im Krankenhaus sieht vor, dass nur eine Person am Tag sie für 30 Minuten besuchen darf. Das ist jetzt besonders einschneidend, da sich unsere Mutter noch nicht wirklich von den Folgen der Operation bzw. der Narkose erholt hat. Denn die Narkosemittel und die weiterhin verabreichten Opiate, die wegen der Rippenbrüche ein zu flaches Atmen und die Gefahr einer Lungenentzündung verhindern sollen, bewirken, dass ihre postoperative Schwäche länger anhält. Wenn ich dann in der kurzen Zeit, die mir zugestanden wird, bei ihr bin, merke ich, dass unsere Gespräche etwas wieder ins Lot bringen können, dass sie ihr gut tun, dass unser – knapp bemessenes – Zusammensein sie belebt und wohl auch Stabilisierung bewirkt.

Als ich meine Mutter am Tag nach der Operation vor sich hin dämmernd in einem großen Rollstuhl auf dem Flur vorfand, hat es mir fast das Herz gebrochen, als sie mich, aus dem Dämmerschlaf erwachend, freudig fragte. „Schläfst du hier?“ „Nein, ich kann nur 30 Minuten bei Dir sein…“

 

Trotz ihrer Schwäche und der Operationsfolgen akzeptiert unsere Mutter die Regelungen mit der ihr eigenen Rationalität und reagiert mit Verständnis. Aber das ist eben nur die eine Ebene. Es fällt mir einfach schwer, und es kommt mir hart und unangemessen vor, sie so viele Stunden ohne Anregungen und Gespräche, die sie leichter in die alte Normalität führen könnten, allein zu lassen. Ich verstehe durchaus die Notwendigkeit, die Besucherströme zu reduzieren und zu kontrollieren. Und ich weiß, dass es viele Menschen im Lockdown viel, viel härter getroffen hat, weil sie gar keinen Besuch haben durften. Daran mag ich gar nicht denken! Aber ich bin traurig, dass ich nicht bei ihr sitzen, ihre Hand halten, im Gespräch Vertrautheit herstellen, ihre Augen sehen kann, selbstverständlich mit Maske. – Ich verstehe die Gründe für die klare Besuchs-Regelung, und doch bin ich besorgt und auch traurig, dass ihr und vielen Menschen die für die Heilung so nötige Geborgenheit, aber auch positive Anregungen verwehrt werden. Und es ist so schade, dass nicht auch ihre Enkel sie spontan besuchen und ihr Gemüt, Herz und Sinn beleben und erfreuen dürfen …