Vor ein paar Wochen habe ich mir ein T-Shirt gekauft. Ich habe es wegen des Schriftzugs bestellt. Vorne drauf steht blau auf weiß: Gedanklich am Meer.
Das trifft meinen Zustand ziemlich genau. Physisch präsent bin ich nach wie vor überwiegend Zuhause, im homeoffice oder auf der Terrasse – und mit dem Kopf bin ich zwischendurch unterwegs. Am liebsten am Sandstrand auf einer Nordseeinsel. Mit Blick aufs offene Meer. Unter den Füßen den kühlen Sand und im Mund den Geschmack von Salzluft. In diesen Gedankenbildern steckt definitiv ein wenig Sehnsucht drin. Ich würde gerne irgendwann einmal wieder am Meer sein. Irgendwann, aber sicher nicht jetzt.
Ich merke, dass mit mir etwas passiert ist in den letzten Monaten. Etwas, was ich von mir bisher nicht kannte. Ich bin immer gerne weggefahren. Je öfter desto besser. Und wenn es nur eine kurze Zugfahrt war; ein freudiges Kribbeln hat mich am Bahnsteig immer begleitet. Aber im Moment ist alles anders. Ich bin am liebsten zuhause, ich habe kein Bedürfnis, irgendwo hin zu fahren. Im Gegenteil: wenn ich im Fernsehen Bilder von vollen Ostseestränden oder überfüllten Orten, wie an Pfingsten im Allgäu sehe, dann fühle ich mich unbehaglich. Es macht mir tatsächlich Angst.
Ich bin eigentlich kein ängstlicher Mensch, aber das Corona-Virus nötigt mir großen Respekt ab. Das war zu Beginn der Corona-Zeit vor drei Monaten noch ganz anders. Aktuell fühle ich kein großes Bedürfnis, in das Leben vor Corona zurückzukehren: mit dem homeschooling haben wir uns nach und nach arrangiert, ich kann zwar nicht das volle Pensum beruflich arbeiten – verspüre aber auch keinen Drang zurück ins Büro.
Ganz einordnen kann ich das alles noch nicht. Zum einen ist mir die Verletzlichkeit des Lebens viel stärker bewusst geworden. Zum anderen glaube ich: Meine Lebens-Waage war vor Corona ziemlich im Ungleichgewicht. Auf der einen Seite haben sich viele Veränderungen und Umbrüche angesammelt; zwei Umzüge in sechs Jahren, berufliche und private Neu-Orientierung. Auf der anderen Seite der Waage lag kaum etwas. Ruhe und Stabilität haben wenig Gegengewicht bilden können. Und plötzlich, mit Corona, ist alles anders: viel Zeit mit den Kindern, der erzwungen beschränkte Radius hat meinem Leben die Geschwindigkeit wohltuend entzogen. Diese Zeit wirkt wie eine Kompensation, wie ein Nachholen; ganz langsam zurück ins Gleichgewicht.
Für die Sommerferien machen wir keine Pläne, ich möchte es nicht. Ansonsten war es oft die Vorfreude aufs Wegfahren, die mich über manche Wochen getragen hat. Jetzt ist es Gewissheit, hier bleiben zu können. Und vielleicht endlich mal die Zeit zu haben, den einen oder anderen einladen zu können. Einzeln und mit Abstand. Und gleichzeitig zu wissen: es ist gut hier.
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