Am Samstagabend ist der Brief von der Schulleitung bei uns eingetroffen und da stand es dann schwarz auf weiß: meine beiden Kinder, Klasse 5 und 9, werden ziemlich sicher erst wieder nach den Pfingstferien in die Schule gehen. Oh Mist, habe ich gedacht, das sind noch acht Wochen! Zum ersten Mal in dieser Corona-Zeit habe ich eine gewisse Bedrängnis empfunden. Jetzt müssen wir uns tatsächlich organisieren, jetzt geht es nicht mehr so weiter. Bisher fühlten sich die Corona-Ferien für mich immer noch nach Freiheit an: Keine Termine, freie Zeiteinteilung bei überschaubaren Aufgaben, viel Zeit zum Surfen und lesen im Netz. Zwischendurch haben wir es uns auch kulinarisch gut gehen lassen und regelmäßig Essen in den Restaurants im Ort abgeholt; Rostbraten, Kässpätzle und so. Aufgestanden sind wir ohne Wecker. Mit meinem Sohn bin ich verrückterweise einige Male schon vor dem Frühstück mit dem Mountainbike im Wald gewesen und habe ihn bei seinen Sprüngen über die Schanzen fotografiert. Wir hatten eine gute Zeit. Das alles hatte definitiv was von Urlaub.

Zu dieser Wahrheit gehört aber auch das Eingeständnis, dass wir beide ohne feste Struktur und Tagesablauf nach und nach im Chaos versunken sind. (Anmerkung: meine Tochter, 15, ist außen vor. Sie ist total diszipliniert, gestaltet sogar zwei Stunden täglich ihr eigenes Fußballtraining) Unser beider Chaos war unzweifelhaft am Zustand unserer Schreibtische zu erkennen. Eine große, ungeordnete Zettelwirtschaft, viel Angefangenes und wenig Beendetes. Das führte dazu, dass mein Sohn bis zum Ende der Ferien mit Nachholen von Aufgaben beschäftigt war. Und ich habe nur die kleinen Dinge zwischendurch gemacht, die sich gerade geschickt angeboten haben: Beiträge für diesen Blog, ein Interview mit dem Dekan zu Ostern, eine Pressemeldung für donum vitae zu Video-Beratung in Corona-Zeiten. Fürs Büro musste ich Minus-Stunden aufschreiben; mein Hauptjob ist eigentlich bei der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Recherchen zu Digitalität, Ethik und künstlicher Intelligenz. Aber alle Veranstaltungen und Vorträge wurden abgesagt, diese Themen waren für den Moment so wenig greifbar und so weit weg von meiner Welt.

Am Sonntag hat mich dann die Panik befallen – womöglich genährt von den immer selben Träumen der letzten Wochen: Ich kenne diese Art Träume, aber die letzte „Staffel“ ist schon lange her. Jetzt gab es eine Fortsetzung; mit immer derselben Aussage: ich war zu spät. Das Flugzeug verpasst, zu spät bei einem Termin, ein Text nicht rechtzeitig fertig geworden. In dieser Erkenntnis bin ich jedes Mal erschrocken aufgewacht.

Ich habe das dringende Bedürfnis verspürt, den Corona-Ferien Teil 2 anders zu begegnen. Und so wurde es ein Sonntag, an dem wir versucht haben, durch äußere Ordnung neue Voraussetzungen zu schaffen. Ich habe in meinem Büro aufgeräumt, sortiert, abgelegt und entsorgt; und mein Partner hat sich das Zimmer und vor allem den Schreibtisch meines Sohnes vorgenommen.

Heute Morgen hatte ich mir dann zum ersten Mal seit Wochen den Wecker gestellt. Und es war zugegebenermaßen ein bisschen befreiend, ohne über Hindernisse zu steigen an meinen fast leeren Schreibtisch zu gelangen. Der Anruf meines Chefs kurze Zeit später und die Planung für die nächsten vier Wochen kamen zum richtigen Zeitpunkt. Eine brauchbare Vorlage für einen Tagesplan habe ich zudem im Netz gefunden, der soll mich ein wenig leiten. Mein Sohn hat es zwar nicht geschafft, länger als 15 Minuten still und ohne rufen und fragen an seinem Schreibtisch zu bleiben, aber immerhin sind alle Aufgaben für heute erledigt und ich konnte ihn guten Gewissens mit dem Rad losziehen lassen.

Unweigerlich musste ich an diesem Wochenende an einen Spruch denken, den mein Vater mir bei etlichen Gelegenheiten immer wieder vorgetragen hatte, bei meiner Kommunion ebenso wie bei der Hochzeit: „Freiheit ist der Zweck des Zwanges, wie man eine Rebe bindet, dass sie statt im Staub zu kriechen froh sich in die Lüfte windet“.

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