Es ist Mittwochmorgen. Wir betreten die Kirche St. Georg in Stuttgart. Draußen rauscht der Verkehr einer vierspurigen Straße vorbei. Dazwischen hört man das Quietschen der Straßenbahn. Trotzdem spüren wir die angenehme Atmosphäre in dieser schönen Kirche, die uns von draußen abschirmt.
Alle Bänke sind markiert. Die riesige Kirche umfasst in Corona-Zeiten 48 Sitzplätze. Das führt die Einschnitte durch das Virus glasklar vor Augen. Wir sind fünf Frauen und setzen uns in die Seitenkapelle mit genügend Abstand. Unser Vorhaben heißt, einen Frauengottesdienst für den 22. Juli vorzubereiten. Das Thema: „Lebensträume“. Schnell wird uns klar, dass unsere Art, als Frauen miteinander Gottesdienst zu feiern, mit den strengen Regeln des Kirchenraums nicht in Einklang zu bringen ist. Eine Stunde hier in den Bänken sitzen in steriler Art, zuhören und sich nicht bewegen, um sich nicht zu nahe zu kommen, das ist schwer vorstellbar für uns. Wir erzählen einander von den Erfahrungen, die wir damit bereits gemacht haben. Von der Unlust, überhaupt noch zu einem Gottesdienst zu gehen. Und wir empfinden, dass Corona unsere kirchliche Praxis tiefer infrage stellt als gedacht.
Vielleicht tut das auch gut. Dass wir uns fragen, was wir überhaupt vermisst haben, als alle Gottesdienste geschlossen waren. Dass wir kritischer geworden sind, welche Rahmenbedingungen einer Feier wir uns antun wollen und wo wir uns die Freiheit nehmen, einfach fernzubleiben. Dass wir ganz eigene Wege finden, den Glauben zu feiern, oder dass wir zugeben, im Moment den Faden der kirchlichen Gewohnheit verloren zu haben und ihn erst neu suchen zu müssen.
Aus dem Austausch erwächst die Idee, eine „Frauenkirche to go“ anzubieten. Einen Gottesdienst, der im geschützten Hof hinter der Kirche beginnt und die Frauen dann auf einen persönlichen Weg schickt. Der Pragfriedhof, Stuttgarts größter Friedhof, liegt gleich hinter der viel-befahrenen Straße. Warum nicht dort nach unseren Lebensträumen suchen inmitten der Mahnung, dass unser Leben endlich ist? Wir kommen überein, dass wir den Frauen ein ganzes Päckchen für ihren Weg mitgeben: Impulse, die Bibelstelle von Maria Magdalena, eine Wegzehrung. Wenn die Frauen zurückkommen, können wir uns austauschen in kleinen Gruppen, auf Abstand und doch in innerer Sichtweite. Und dann die Frauenkirche gemeinsam beschließen mit der Bitte um Gottes Segen für unsere Träume und unsere Wege.
Wir sprudeln und freuen uns an unseren Ideen. Es wird ein kraftvoller, intensiver Gottesdienst, da sind wir uns ganz sicher. Und hoffen darauf, dass andere sich von dieser ungewohnten Form gerne ansprechen lassen.
Ich bin gespannt! Und ich spüre, wie dankbar ich bin für unser Team von Frauen, die in der Krise ihre ganze Kreativität entdecken und zeigen, dass innere Beweglichkeit unserem Glauben gerade jetzt neues Leben einhaucht.
Das klingt spannend. Wenn es eben geht, werde ich versuchen zu kommen.
Danke für die Mühe der Vorbereitung.
Ich finde Ihre Gedanken sehr spannend und sehr notwendig! Und die Idee, Frauen auf einen je eigenen Weg zu schicken gleichzeitig sehr wohltuend. Ich merke bei mir selbst, wie ich ringe, suche und hadere – mit der ganzen Kirche, mit meinem Glauben. Zu einem Gottesdienst in einer Kirche hat es mich bisher nicht gezogen, schon allein die Tatsache mich dafür anmelden zu müssen, passt für mich gar nicht. Erstaunlicherweise reagieren sogar ältere Damen und wirklich treue Kirchgängerinnen darauf mit Ablehnung. Ich habe mit einer Bekannten gesprochen, sie ist über 80. Sie sagte mir, das wäre für sie wie ein Betteln und Bitten um einen Platz in der Kirche, das wäre unwürdig. Sie geht aktuell nicht mehr in die Kirche, ebenso wie ihre hochbetagten Freundinnen; die allesamt in den letzten Jahrzehnten keine Woche ohne Gottesdienst (und anschließenden Plausch) verbracht haben. Die Schilderung ihrer Wahrnehmung war für mich sehr eindrücklich.
Am Wochenende war ich nun zum ersten Mal seit vielen Monaten wieder in einem Gottesdienst; bei einem Auto-Gottesdienst am Stuttgarter Flughafen, spontan und ohne Anmeldung. Die Idee fand ich gut und ich probiere immer gerne Neues aus. Es war eine nette Abwechslung und mal ein anderer Sonntagmorgen. Die Texte und Gedanken nicht allzu tief, aber ok. Gut war die Musik, frische Bands – aber eine seltsame Erfahrung habe ich dabei gemacht: als einziges gemeinsames Lied wurde eines gewählt, das jeder kennt: „Großer Gott wir loben Dich“. Gleich zu Beginn des Gottesdienstes. Aber es wollte mir nicht über die Lippen kommen. Da ist mir erst bewusst geworden, dass es auch für ein Kirchenlied, zumindest für mich, einen Rahmen braucht. Die Atmosphäre einer großen Gemeinschaft, eine irgendwie festliche Stimmung – das ging nicht alleine im Auto auf dem Flughafenparkplatz.
Ich denke es ist im Moment eine gute und wichtige Zeit um zu fragen und zu spüren; was brauche ich, was ist mir wichtig und wo finde ich einen Platz – oder wo habe ich auch keinen Platz mehr.