Ich bin enttäuscht und wütend! Ich bin zornig, wenn ich auf die aktuellen Vorgänge rund um das vom Kölner Kardinal Woelki in Auftrag gegebene Gutachten zum Missbrauch in der Erzdiözese Köln schaue: Denn es ist fertig erstellt, von der renommierten Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl, die ja das Erzbistum selbst mit der Aufklärung beauftragt hat. Doch genau dieses Gutachten bleibt unter Verschluss. Die klare Sprache des Gutachtens, die Ross und Reiter benennt, ist unerwünscht! Die offensichtlich explosive Analyse soll nun mit juristischen Mitteln abgewertet und unter Verschluss gehalten werden. Und bis zum18. März 2021 wird flugs ein Gegengutachten von einer anderen Kanzlei erstellt. – Warum gibt das Erzbistum der Öffentlichkeit nicht die Möglichkeit, sich selbst ein Bild zu machen? Die Aktion #rausmitderakte und #übernehmtverantwortung von Maria 2.0 und KDFB fordert genau dies. Wiederum scheint Aufklärung hintertrieben zu werden, wiederum scheint der Schutz von Tätern und Vertuschern, Klerikern und Amtsinhabern über den der Betroffenen gestellt zu werden: im Jahr 2020! Finanziert wird natürlich alles faktisch mit unserem Geld, dem Geld der Kirchensteuerzahlerinnen.

Es ist so offensichtlich, dass es das eine ist, sich als Aufklärer darzustellen –und etwas ganz anderes, unwillkommene Wahrheiten zu veröffentlichen! – Mit so vielen anderen zusammen spüre ich Empörung und auch Zorn. Das veranlasst mich zu einem kleinen Exkurs über dieses geschmähte Gefühl. Unlängst las ich in der FAZ die höchst spannende Besprechung eines Buches mit der Artikel-Überschrift: „Frauen sollten ihren Zorn häufiger als Antrieb nutzen“. In diesem Buch wird beschrieben, warum weiblicher Zorn, leider fast ein Widerspruch in sich, eine zu Unrecht missachtete Emotion ist. Die Autorin Soraya Chemaly erläutert in ihrem Buch, warum weibliche Wut ein so wichtiges Mittel gegen Angst und Diskriminierung ist. Wut ist nicht zu verwechseln mit ungezügelter Aggression, denn sie ist „ein durchaus hoffnungsvolles und nach vorn gerichtetes Gefühl: Sie ermöglicht uns, Leidenschaft zu zeigen und in Kontaktmit der Welt zu bleiben, und bewirkt so Veränderungen.“ Wut und Zorn sind Gefühle, die Mädchen übrigens schon früh abtrainiert werden, doch es sind genau die Emotionen, die uns schützen können: gegen Gefahren, Übergriffe, Diskriminierung! Wenn wir die positive Kraft dieser Emotion verstehen und nicht an uns selbst verteufeln und verhindern, können wir lernen, sie fruchtbar zu machen für unsere Anliegen: Wir sind zu Recht erzürnt, wir können den gerechten Zorn spüren, wir lassen die Wut zu und können sie sinnvoll als legitimen und befreienden Antrieb einsetzen: So vollziehen wir den Wechsel von Angst, Passivität, Rückzug, ja Verstummen hin zu Aufklärung, aktivem Handeln und notwendiger Veränderung!

Am 25. November wird das Buch „Erzählen als Widerstand“ erscheinen, das den tabuisierten und bewusst übersehenen sexuellen und geistlichen Missbrauch an über 18-jährigen Frauen thematisiert. Vier Frauenbundfrauen, Mitglieder der theologischen Kommission des Frauenbundes, sind die Herausgeberinnen. Doch das Buch verdanken wir den Frauen, die bereit waren, ihre Geschichte zu erzählen, den spirituellen und oder sexuellen Missbrauch an erwachsenen Frauen ins Wort zu bringen. – Den Verantwortlichen in der römischen Kurie liegen ja schon lange Informationen über massive sexuelle Übergriffe durch Kleriker vor, denen vor allem Ordensfrauen in aller Welt ausgesetzt sind. Die Betroffenen aber wurden zurückgewiesen, diskreditiert, beschämt, wenn sie sich zu artikulieren wagten. Sie wurden missachtet, verachtet. –Ich empfinde höchsten Respekt und große Dankbarkeit den Frauen gegenüber, die das Buch „Erzählen als Widerstand“ erst ermöglicht haben. Nur durch ihr Erzählen kann die (selbst-)zerstörerische Spirale des Schweigens und der Vereinzelung durchbrochen und nur so können toxische Machtstrukturen und -mechanismen sichtbar werden.

Mit ihrer Kraft, das Schweigen zu durchbrechen, sind die Autorinnen des Frauenbund-Buches solidarisch mit den vielen, die diesen Weg (noch) nicht gehen können. Heilsame Kraft der Wut: Ich bin traurig und zornig, wenn ich an die frauenfeindliche Missachtung, Herabwürdigung oder einfach nur an die Gleichgültigkeit denke, die die Betroffenen erfahren haben. Und ich verneige mich vor den Autorinnen des Frauenbundbuches „Erzählen als Widerstand.“