Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich den ersten Beitrag für diesen Blog geschrieben, es war der 17. März 2020. Es war der erste Tag unserer „Corona-Ferien“ – so hatte ich den Beginn dieser neuen Zeit genannt. Das plötzliche Schulende und die Anweisung, bis auf Weiteres im homeoffice, zu arbeiten, das fühlte sich nicht nur nach Ferien, sondern wie ein ganz großer Feiertag an: Ausschlafen, Pfannkuchen backen, chillen und das Leben genießen. Keine Termine, kein Druck, endlos viel Zeit. Die Welt gehörte uns. Dieser möglich gewordene Ausbruch aus unserem durchgetakteten Alltag war auf seine Weise überwältigend.

Ich weiß nicht womit ich beginnen soll, wenn ich nun, ein Jahr später, auf die letzten 12 Monate zurückblicke. Weil ich keine Kategorien habe, um die Fülle des Erlebten und Erduldeten, des Geschenkten und Genommenen, einzuordnen und zusammenzufassen.
Deswegen greife ich bei meinem „Jubiläums-Blog-Beitrag“ nur wenige Dinge aus dieser Fülle heraus: Ich erzähle von dem, was mit Corona ganz neu in unser Familienleben Einzug gehalten hat, von Dingen, die ich mir zuvor nicht hätte vorstellen können und davon, was mir diese Zeit an Klarheit und Hoffnung mitgegeben hat.

Ich beginne meinen Rückblick in unserer Küche. Das war noch nie mein Lieblingsort. Umso größer war für mich die Herausforderung, diesen Ort von sieben bis elf in der Nacht zu „bespielen“ – irgendwas musste immer im Kühlschrank sein, irgendeine Kochidee für jeden Tag gefunden werden. Umso dankbarer war ich, als meine Tochter (16) nicht nur freiwillig dort aufgetaucht ist, sondern sich zur kleinen Meisterköchin entwickelt und alles Mögliche ausprobiert hat. Sie hat uns Dinge serviert, von denen ich nicht wusste, dass man sie kochen kann: Quark-Keulchen, Linsen-Bolognese, Kokos-Reis mit Mango, Kartoffel-Kohlrabi-Gratin, Bananen-Blaubeer-Brot mit Schokotropfen. Eine tolle Erfahrung! Seit einem Jahr gibt es obendrein nur noch selbst gemachten Pizza-Teig bei uns und der Einkauf beim Hofladen passiert mittlerweile ganz bewusst und nicht mehr nur dann, wenn es auf der Heimfahrt vom Büro gerade mal zufällig passt.

Von der Küche hat man einen freien Blick ins Wohnzimmer und auf den Fernseher – das ist wichtig für die „Deals“, die mir die Kinder regelmäßig freitags oder in den Ferien angeboten haben: Sie machen die Küche, d.h. kochen und aufräumen – und nebenher läuft als Teil des „Deals“ eine dieser Serien, die mir bis dahin nicht nur unbekannt waren, sondern mir einen ganz neuen Teil der medialen „Jugendkultur“ erschlossen haben. Heute fang ich was an mit Titeln wie Prison Break, The Flash, Arrow, Lucifer, Supergirl, Batwoman, Legends of Tomorrow … Neben den Serien sind die Nachrichtensendungen in dieser Zeit ganz neu in den Fokus gerückt – bis heute schauen wir sehr oft „live“ und gemeinsam Nachrichten oder die Corona-Spezial-Sendungen und diskutieren über Zahlen und Maßnahmen. Und immer mal wieder läuft CNN einen halben Tag lang nebenher, denn der Blick in die USA bleibt spannend.

Meine eigenen Mediennutzungsgewohnheiten haben sich in dieser Zeit vor allem in einem Punkt verändert: ich höre noch mehr Podcasts als zuvor. Und zwar bei jeder Gelegenheit: Deutschlandfunk „Tag für Tag“ beim Wäsche aufhängen, „Himmelklar“ beim Kochen, „Digitale Provinz“ beim Autofahren. Vor allem zu Beginn der Pandemie habe ich abends im Bett noch „der 8. Tag – Deutschland neu denken“ oder die „Frischetheke“ gehört: Mitten in der Pandemie erzählen Menschen von Ideen, Projekten und Visionen für eine neue Gesellschaft – ein Architekt von neuen Innenstädten nach Corona, eine New Work-Expertin über den Wert von Arbeit und viele kirchliche Akteure über Erprobungsräume für eine Kirche von morgen. Ich finde es faszinierend, diesen Gedanken und Geschichten zu folgen und merke, wie mich diese Visionen und Möglichkeiten selbst in eine Art Aufbruchstimmung versetzen. Corona zum Trotz. In Sachen Medien bleibt zu erwähnen, dass ich mir das erste Mal im Leben eine Ausgabe der Zeitschrift „Emma“ gekauft habe. Ursprünglich wegen des Beitrags zu Maria 2.0. Aber auch die vielen anderen Themen und Erzählungen über starke Frauen in der Zeitschrift begeistern mich; ich glaube, es bleibt nicht bei dieser einen Ausgabe.

„Emma“ und die Frauen von Maria 2.0. schlagen die Brücke zu meiner und unserer katholischen Kirche. Trotz der aktuell desaströsen Situation – von Austritten über Missbrauch bis zum gestreamten Klerikalismus – ich persönlich glaube und spüre viel mehr Aufbruch als Untergang. Und das, obwohl ich, mit wenigen Ausnahmen, ein Jahr lang keine Kirche betreten habe! Meine Hoffnungsstimmung hat ganz sicher mit Maria 2.0 zu tun. Die Bewegung der Frauen hat auch mich erfasst. Die Pandemie-Zeit hat das alles verstärkt und sie hat mir meine längst im Stillen vorhandenen Zweifel und Fragen an Glauben und Kirche vor Augen geführt. Ich habe viel nachgedacht über meine Beziehung zur Kirche – die so alt ist wie ich selbst. Ein Resultat ist, dass ich klarer geworden bin in meiner Haltung – und sprachfähig. In zwei Beiträgen für die SWR4-Abendgedanken (Homosexualität und Berufung von Frauen) habe ich formuliert, was ich vor einem Jahr in dieser Form nicht hätte können. Diese Veränderung habe ich bemerkt, als meine Eltern etwas besorgt auf die Beiträge reagiert haben und fragten, ob ich da keinen Ärger bekomme. Ich musste ein wenig schmunzeln und habe ihnen gesagt: „Nein, da wird nichts passieren – diese Zeit ist vorbei!“

Corona ist noch nicht vorbei. Aber wir wissen, was in unserer Pandemie-Kiste drin ist: Die Begleitung eines pubertären Teenagers, der in dieser Zeit fast 10 cm gewachsen ist und viele grundsätzliche Fragen ans Leben hat, bleibt nach wie vor eine kleine Herausforderung. Die gegenseitige Geschwister-Fürsorge und 12 Monate ohne jeglichen Streit der Kinder untereinander ist gleichzeitig ein großes Geschenk! Das Zusammenleben mit einem Arzt an unserer Seite hat in dieser Zeit unsere Wahrnehmung geschärft – für die Gefährlichkeit des Virus und die tatsächliche Situation in den Kliniken. Ebenso dafür, dass wir uns um unsere Gesundheit kümmern müssen. Auch der gut platzierte Schuss meiner Tochter mit ihrem Fußball auf die Fensterscheibe im Nachbargebäude gehört in unsere Pandemie-Kiste ☹. Trotz allem: wenn wir ohne gesundheitliche Probleme Corona hinter uns lassen können, dann ist fast alles gut. In jedem Fall ist das Pandemie-Jahr für mich persönlich kein verlorenes Jahr! Und von dem „Die-Welt-gehört-uns-Gefühl“ des 17. März 2020 ist definitiv etwas geblieben. Es ist zwar nicht die euphorische Leichtigkeit des ersten Corona-Ferien-Tages; aber die Gewissheit, der Himmel ist offen, es ist ganz Vieles möglich!

Diese Option, dass Manches (neu) möglich ist, die Hoffnungsstimmung und die Visionen für Kirche und Gesellschaft – das gibt mir Zuversicht und ist Antrieb. Ebenso wie die Klarheit, die sich nach und nach eingestellt hat: Ich möchte mitgestalten; an einer anderen Welt und an einer anderen Kirche. Auch deshalb habe ich beschlossen, dass ich ab Herbst nochmals studieren werde. Zum Journalismus hätte ich gerne noch ein bisschen Handwerkszeug dazu. Bisher fehlte mir zu dieser Entscheidung der Mut, die Zeit und das passende Studienfach. Und vielleicht auch die Stärke hinzustehen und zu sagen: Jetzt bin ich dran. Nun passt alles, die Zeit ist reif.