Letzte Woche habe ich eine sehr schöne und bereichernde Stunde erlebt: Ich habe Annette Schavan zu einem Interview für Kirche im SWR getroffen und sie zuhause in Ulm besucht. Wir haben über ihr Buch „Geistesgegenwärtig sein – Anspruch des Christentums“ gesprochen. Und nicht nur darüber – am Rande ohne Mikrofon blieb Zeit für ein paar kurze Sätze. Über den Papst zum Beispiel und Annette Schavans Blick auf ihn. Und nachdem während unseres Gesprächs ein Anruf aus Rom auf ihrem Handy einging, hat sie mir von einem Projekt erzählt, dass im Herbst öffentlich wird. Es steht außer Frage, dass ich darüber genauso stillschweigen bewahre, wie über all jenes, das ich in dieser Stunde gesehen und wahrgenommen habe. Es war eine sehr schöne Gesprächsatmosphäre in einem wunderbaren Raum mit Espresso, Zitronenplätzchen und vielen Büchern! Für mich war diese Stunde ein Geschenk.

Was ich sehr an Annette Schavan schätze ist die positive Art, wie sie über Dinge spricht. Ich höre ihr gerne zu und für mich bleibt nach ihren Worten ganz oft das Gefühl: es wird gut. Das mag auch an ihrer ruhigen Stimme liegen und den so schön formulierten und grammatikalisch einwandfrei gesprochenen Sätzen – ich habe schon lange kein Interview mehr geführt, bei dem ich so wenig zusammenschneiden musste!

Warum habe ich Annette Schavan für das Interview angefragt?

Neben all den negativen Schlagzeilen und schlechten Nachrichten rund um Kirche finde ich es sehr wohltuend, von neuen Projekten und Zukunfts-Szenarien zu hören oder von Aufbrüchen in der Kirche zu lesen. Mir macht das gute Laune und Lust, in und für diese Kirche weiterzuarbeiten. Auch deshalb bin ich im letzten Jahr zum Podcast-Fan geworden; da finden sich viele tolle Themen und Ideen für unsere Gesellschaft – und tatsächlich auch einiges Hörenswerte in Sachen Kirchenentwicklung.  Als Empfehlung: Meine aktuellen Lieblingspodcasts sind Frischetheke – zu Projekten aus dem fresh-x-Netzwerk  und, noch recht neu, Windhauch, ein ökumenisches Projekt.

Und genau aus demselben Grund hat mir das kleine Büchlein von Annette Schavan so gefallen: Weil sie darin von den Chancen und den Möglichkeiten des Christentums gerade jetzt in dieser Zeit schreibt. Sie nimmt nicht explizit die kirchlichen Strukturen in den Blick, aber durchaus das Verhalten der Institution Kirche. Und gleichzeitig blickt sie auf das Vermächtnis, das Jesus hinterlassen hat und entwickelt daraus Leitgedanken für künftiges Handeln. Sie orientiert sich dabei auch an Andrea Ricardi, dem Gründer von Sant Egidio, einer Gemeinschaft, für die das Gebet und der Dienst am Nächsten immer zusammengehören. Mit dieser Gemeinschaft hat sie sich einmal beim Weihnachtsessen für Flüchtlinge in Rom engagiert – eine Weihnachtserfahrung, die sie nie vergessen wird, so hat es Annette Schavan bei unserem Interview erzählt.

Gerne teile ich hier ein paar schöne Zitate aus dem Gespräch:  „Auch wenn Zahlen, die die Kirche betreffen schlechter werden – das ist überhaupt kein Hinweis auf die Notwendigkeit, sich Menschen zuzuwenden. Es ist ein Kairos, ein günstiger Moment für die Theologie. Der Papst hat gesagt, Theologie ist ein kulturelles Laboratorium kann also beitragen dazu, kritisch zu befragen: Wo müssen wir neue Wege gehen? Wo müssen wir, um wirklich zukunftsfähig zu sein, unsere Leitvorstellungen überprüfen. Ja, eigentlich ist Aufbruchzeit und das finde ich vor allem für die Zeit nach der Pandemie.“

„Was heißt es für kirchliches Handeln? Wie kann die Gemeinde eine andere Bedeutung bekommen? Von den ersten Jüngern heißt es, sie kamen zum Gebet zueinander und sie wussten um ihre Armen. Könnten wir heute sagen: Sie treffen sich zum Gebet und sie wissen um die Einsamen in ihrer Gemeinde?“

„Wir leben in einem Land mit einer religionsfreundlichen Atmosphäre. Es gibt viele Menschen, die großes Interesse haben. Und jetzt muss es auch der Institution gelingen ihre Traurigkeit, ihre Tristesse abzulegen und diese vielen Möglichkeiten wahrzunehmen …  wenn ich Traurigkeit ablegen will, dann muss ich auch mal den Blick wieder frei haben, gute Dinge zu sehen. Zu sehen, wo sich was Tolles entwickelt, wo Menschen sich enorm einsetzen und nicht die Frage zu stellen: Ist das, was sie da tun, wirklich alles in Ordnung oder passiert da irgendwas? Also weg mit dem Kontrollblick hin zu einem liebenden, vertrauenden Blick.“

Ich habe Annette Schavan zum Ende unserer Begegnung danach gefragt, ob sie noch immer – wie ich es vor vielen Jahren einmal über sie gelesen hatte – morgens zuerst eine Stunde liest, bevor sie sich an den Schreibtisch setzt. Das fand ich nämlich immer sehr bemerkenswert. Und tatsächlich, diesen Rhythmus hat sie auch nach ihrer aktiven Zeit als Politikerin und Vatikanbotschafterin beibehalten. Sie steht nicht mehr ganz so früh auf, liest aber noch immer jeden Morgen mindestens eine Stunde. Dazu gehört, wie schon früher, ein Psalm oder die Laudes – und ganz aktuell der neue Krimi von Donna Leon. 😊

 

Das Gespräch mit Annette Schavan ist übrigens am 8. August in SWR1 Sonntagmorgen im Format „Begegnungen“ zu hören.