Dr. Barbara Haslbeck schreibt:

Es ist schon neun Jahre her, als mich die Leiterin einer Frauengruppe fragte: „Können Sie für uns mal einen Vortrag halten?“ Als ich sagte, ich würde gerne einen Abend anbieten zur Frage „Was hilft Frauen mit Missbrauchserfahrungen?“, kam die spontane Reaktion: „Lieber ein Thema, das mit uns zu tun hat.“ Ich glaube und hoffe, das würde heute nicht mehr passieren. Denn das Thema hat sehr viel mit uns zu tun. Das zeigt das Buch „Erzählen als Widerstand“, in dem 23 Frauen über spirituellen und sexuellen Missbrauch an erwachsenen Frauen in der katholischen Kirche berichten.

Am 25.11., dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, findet die Präsentation des Buches statt, ganz Corona-konform im Online-Format:
www.erzaehlen-als-widerstand.de

Viele haben sich bereits angemeldet, denn sie ahnen: Das geht uns etwas an. Missbrauch in der Kirche betrifft nicht nur Jungen und Jugendliche. Erwachsene Frauen erleben in kirchlichen Zusammenhängen, wie sie abhängig gemacht werden, wie ihre Arbeitskraft ausgenutzt wird, wie sie spirituell indoktriniert und sexuell ausgebeutet werden. Es kann jede Frau treffen. Neun von 23 Autorinnen waren zum Zeitpunkt des Missbrauchs Ordensfrauen. Andere sind Singles, Familienfrauen, Frauen in jedem Lebensalter und mit unterschiedlichen Berufen und Bildungshintergründen. Sie arbeiten bei der Kirche oder sind ehrenamtlich hoch engagiert. Es ist diesen Frauen nicht anzusehen, welche verstörenden Erfahrungen sie mit sich schleppen.

Alle Frauen, die die Berichte geschrieben haben, beschäftigt die Frage: Schenken Menschen dem, was ich erlebt habe, Glauben? Oder schieben sie mir eine Teilschuld zu? Wir leben in einer Gesellschaft, die davon ausgeht, dass erwachsene Frauen nein sagen können. Dabei bleibt außen vor, dass der Missbrauch stattfindet, weil Frauen gegenüber Männern und Klerikern unterlegen und abhängig sind. Der Missbrauch ereignet sich oft im Rahmen geistlicher Begleitung, von Exerzitien oder Beichte. Er kommt nicht plötzlich, sondern bahnt sich langsam an. Die Betroffenen spüren zwar Unbehagen, gehen jedoch davon aus, dass der geistliche Begleiter, die Oberin oder der Beichtvater nur ihr Bestes wollen. Sie bringen der über ihr stehenden Person Vertrauen entgegen, das so bitter gebrochen wird.

Eine Frau beschreibt: Der Priester hat während der gesamten Zeit dieser sexualisierten Kontakte nie das Etikett „Geistliche Begleitung“ und seine Rolle als „Beichtvater“ in Frage gestellt; alles geschah unter diesem Deckmäntelchen des priesterlichen Dienstes, scheinbar mir zuliebe, schein-heilig.

Die Zeit der Scheinheiligkeit ist vorbei. Die Berichte des Buches machen diese Erfahrungen öffentlich. Sie ermutigen Frauen, das bisher Unsagbare auszusprechen. Diese Geschichten gehen uns alle an.

Wenn Sie mehr wissen wollen – herzliche Einladung zur Buchpräsentation am 25.11.20 um 16 Uhr. Anmeldung unter:
www.erzaehlen-als-widerstand.de

Dr. Barbara Haslbeck ist eine der vier Herausgeberinnen des Buches. Sie ist theologische Referentin in der Fort- und Weiterbildung Freising und gehört zum Trägerteam der Initiative Gottessuche – Glaube nach Gewalterfahrungen (www.gottes-suche.de).