Bei meinem Frühstück heute Morgen erreicht mich zwischen Müsli und Apfel in den Radionachrichten die Neuigkeit, dass sich 125 katholische Kirchenmitarbeiter*innen mit der Initiative #OutInChurch – für eine Kirche ohne Angst als queere Menschen geoutet haben. Kurz überlege ich, ob ich mich verhört habe. Dann schalte ich mein Handy ein und suche nach näheren Informationen. Auf der zugehörigen Homepage sind Bilder all jener zu sehen, die bei der Aktion mitmachen. Doch das Internet arbeitet langsam. Ich beschließe, später mit meinem Laptop mehr darüber herauszufinden.

Als ich dazukomme, ist die Internetseite zusammengebrochen. Ich schalte mich in meine Mails und finde bereits die Pressemitteilung von über 20 Verbänden und Organisationen vor, die sich solidarisch hinter die Initiative stellen. Ich bin stolz, dass der KDFB dabei ist und dieses klare Bekenntnis ablegt!

Später rufe ich die ARD-Mediathek auf. Es gibt nicht nur eine Homepage der Aktion, sondern auch einen Film und Einzelbeiträge von 100 Mitwirkenden. Aus farbigen Kacheln schauen sie mich an, bekannte und unbekannte Gesichter. Ihre Blicke sind nachdenklich, offen, verletzlich. Über die Portraitfotos kann ich ihre Beiträge abrufen. Ich klicke mich durch die Kurzbotschaften. Da sind Menschen, die ganz authentisch von sich, von ihren Erfahrungen und ihrer Geschichte erzählen. Ich merke, wie mich ihre ehrlichen Worte in den Bann ziehen. Schonungslos offen berichten sie von ihrer Not, ihrem Ringen, ihrer Diskriminierungserfahrung, ihrem Wunsch gesehen und anerkannt zu werden. Ich bin tief berührt. „Erkennt uns endlich an… als die, die wir sind mit unserer ganzen Existenz, mit unserer Wahrheit, die wir in uns tragen… und hört auf, Menschen zu beschämen,“ sagt Burkhard Hose, der mutige Hochschulpfarrer aus Würzburg.

Was für tolle Menschen, denke ich. Welch´ ein Schatz für die Kirche! Sie setzen ohne Rücksicht auf persönliche Konsequenzen dem ewigen Schweigen und aller katholischen Unehrlichkeit ein Ende. Sie treten hervor und sagen „ich“. Sie schaffen dadurch die Verbundenheit eines „Wir“. Denn es sind viele, und sie sind ab jetzt unübersehbar. Wieder einmal spüre ich: Wahrheit macht frei. Sie entfaltet eine große Kraft. Sie bringt Solidarität hervor und verdient unbedingte Unterstützung. Meine ist all diesen Menschen gewiss.

Ich denke mit Trauer, Empörung und Wut an die andere, dunkle Seite meiner Kirche, die gerade die Schlagzeilen bestimmt. Auch hier geht es um Wahrheit, aber um eine, die sich nur mühsam und scheibchenweise ans Licht zerren lässt. Viel zu gewohnt sind Verheimlichung, Vertuschung, ja sogar Lügen, die den äußeren Schein einer Institution, aber auch mancher Verantwortungsträger immer noch weiter schützen sollen. Niemand wagt sich aus der Deckung und übernimmt Verantwortung. Stattdessen werden immer neue Nebelraketen gezündet.

Mich widert diese Taktik nur noch an. So mag ich heute auch nichts Weiteres mehr darüber lesen, wie Joseph Ratzinger seine Erinnerungsschwankungen wegerklärt, die ihm jede Verantwortlichkeit für den vielfachen Missbrauch in seinem früheren Münchner Bistum vom Hals halten sollen.

Die Wahrheit macht frei. Die, die heute mit der Initiative #OutInChurch aus der Deckung getreten sind, mögen dies als kraftvollen Rückenwind spüren. Jene, die noch im kirchlichen Nebel wandern, mögen es sich endlich zu Herzen nehmen.

www.outinchurch.de