Seit Anfang Mai sind Gottesdienste in NRW und damit auch in unserem Bistum wieder möglich. Diese Woche dann in einer kirchlichen Mitteilung, der Hinweis: „Die Sonntagspflicht ist von unserm Erzbischof Rainer Kardinal Woelki weiter ausgesetzt.“ Wie großzügig! Ich lege die Mail schon zur Seite. Doch dann komme ich ins Grübeln…

Wenn ich denn eine Sonntagspflicht hätte, wer könnte sie für mich aussetzen? Nach meinem Verständnis kann eine Verordnung erstmal doch nur aufheben, wer vorher auch das Recht hatte, sie zu erlassen. Die katholische Sonntagsfrage wird aber wohl kaum auf Bistums-Ebene entschieden.

Wenn ich sie denn hätte, was wäre damit gemeint? Die sonntägliche Präsenz bei einer katholischen Eucharistiefeier? Körperliche Anwesenheit reicht? Vielleicht sollte ich mir die auch gleich in einem kleinen Vokabelheftchen mit Termin vom Pfarrer abzeichnen lassen, wie ich das bei Konfirmanden in der Vorbereitungszeit auf die Konfirmation erlebt habe? Doch Ironie beiseite.

Wie habe ich „meine Sonntagspflicht“ oder das, was ich dafür hielt, denn bisher gelebt? Lange Zeit war das für mich tatsächlich absolut treu und selbstverständlich der Besuch der Messe an jedem einzelnen Sonntag. So fromm ich es irgend möglich machen konnte. Dann erste Fragen: Evangelische Gottesdienste bei Familienfeiern oder Ökumenische bei den Kirchentagen? Offizielle Vorgaben: erlaubt erst nach 12.00 Uhr, damit die Katholiken vorher ihrer Sonntagspflicht nachkommen können. Ich kam ins Hadern mit mir selbst. Sollte ich tatsächlich vorher noch irgendwo in eine Messe gehen? In vielen Gemeinden, in denen ich früher in anderen Bistümern gelebt habe, gab es irgendwann „nur“ noch Wortgottesdienste – mit und ohne Kommunionfeier. Was bedeutet das nun wiederum für meine Sonntagspflicht? Aber auch andersherum: Nach großen, festlich offiziellen Pontifikalämter, nach Riesen-Veranstaltungen im Stadion beim Katholikentag oder mit dem Papst war mir das manchmal alles zu viel an Security, Aufregung, Durcheinander und zu wenig fromm; am Sonntagabend hatte ich dann oft genug das Gefühl, erstmal irgendwo „richtig in die Kirche gehen“ zu müssen.

Meine Sonntagspflicht? Wenn ein Bischof meint, sie mir erlassen zu können, hat er vorher hoffentlich erstmal alles getan, damit ich meiner Pflicht nachkommen kann. Dabei rede ich nicht von den Ausnahmezuständen zu Corona-Zeiten, sondern auch und gerade vorher: Ohne soziale Bezüge bzw. ohne meine Gemeinde, ohne Mindestansprüche an Gestaltung und Predigt, ohne Gottesdienstvorsteher, die nur durchgehen, wenn man glaubt „ecclesia supplet“ – und, und … was muss ich alles akzeptieren, um meiner Pflicht nachzukommen? Welche Verantwortung hat hier wer, um Zustände zu verbessern?

Aber jetzt ist die Sonntagspflicht ja sowieso gerade ausgesetzt. Schade eigentlich. Ich hätte lieber darum gerungen, was Sonntagspflicht in Zeiten von Corona bedeuten kann und was wir daraus für das Leben „danach“ lernen. „Pflichten aussetzen“, das hört sich dagegen nach dem Verhalten von Potentaten gegenüber ihren Untertanen an. Aber wir reden hier nicht von „Hand- und Spandienste“. Meine Sehnsucht, den Sonntag gemeinsam als ersten Tag der Woche liturgisch zu feiern, ist jedenfalls sehr groß, mein „Pflichtbewusstein“ aber geht inzwischen gegen Null.