Letzte Woche habe ich den roten Teppich unserer KDFB-Geschäftsstelle in Stuttgart ausgeliehen. Einst haben wir ihn für unser Frauenfest angeschafft, damit die ankommenden Frauen auf einem roten Teppich begrüßt werden und wissen, wie wichtig sie uns sind. Nun soll der Teppich beim Sonntagsgottesdienst meiner Wohnortgemeinde zum Einsatz kommen.

Unser Familiengottesdienst-Team lädt nämlich jedes Jahr den Dekanats-Seelsorger für Menschen mit Behinderung in die Gemeinde ein. Gemeinsam feiern wir Gottesdienst und freuen uns am bunten Publikum, an ausdrucksstarken Ritualen, an Gebärden, die die einfachen Gebete unterstreichen. Sie helfen nicht nur Menschen, die sich mit Worten schlecht ausdrücken können. Sie bringen auch unser Herz in Bewegung.

Am Sonntag Morgen also trage ich den roten Teppich in unsere Kirche. Wir legen ihn quer vor die Gemeindebänke, kleben ihn ein wenig fest, und weil er noch allerhand Frauenfest-Spuren aufweist, schnappe ich mir den Staubsauger der Sakristei, um alle Krümel zu entfernen. Wir wollen schließlich einladen, über diesen roten Teppich zu gehen im Bewusstsein, dass wir VIP´s, dass wir wichtige Menschen sind, jede und jeder Einzelne von uns.

Kurze Zeit später beginnt der Gottesdienst. Er hangelt sich am Evangelium der wunderbaren Brotvermehrung entlang, das in kleinen Abschnitten aus der Bibel in leichter Sprache vorgelesen wird. Ich liebe diese einfachen Sätze, die unsere Hörgewohnheit durchbrechen und direkt unter die Haut gehen. Jeder Satz hat Gewicht. Jedes Wort ist klar und unverschnörkelt.

Dann kommt das Herzstück des Gottesdienstes. Als Jesus den kleinen, bisher ganz unbedeutenden Jungen mit den fünf Broten und zwei Fischen in die Mitte stellt und ihm dadurch ungeahnte Wichtigkeit verleiht, steigt die Spannung in der Kirche. Was jetzt? Wir zeigen auf den roten Teppich und stellen die Idee vor, dass jemand darübergehen kann. Einmal über den roten Teppich der Aufmerksamkeit gehen und die eigene Bedeutsamkeit spüren… Wer mag vorkommen und das ausprobieren?

Zunächst zögern alle. Wer traut sich? Damit wir es uns besser vorstellen können, macht es ein junger Erwachsener mit Down-Syndrom, begleitet vom Dekanats-Seelsorger, vor. Beide betreten vorsichtig den roten Teppich und schauen erwartungsvoll. Wir spüren, dass sie Mut brauchen zu diesem Schritt. Doch wir lassen sie nicht einfach so stehen. Applaus brandet auf. Selten habe ich Menschen so laut klatschen hören in einer Kirche. Es ist ein großer, anerkennender Jubel, der den Bann bricht. Beide strahlen bis über die Ohren.

Nun wollen auch andere: Eine Mutter mit ihrer behinderten Tochter. Mehrere kleine Kinder, die eine solche Bühne ganz unbefangen lieben. Ein Ministrant, eine Frau des Familiengottesdienst-Teams. Auch ein Spieler der Kirchenband bekommt Applaus.

Wer da vorne steht, blickt in lachende, wohlwollende, begeisterte Gesichter. Der rote Teppich wird zum Ort der Rückendeckung: Wie gut, dass es dich gibt! Es ist der berührendste Moment dieses so anders-artigen Gottesdienstes. Genau so muss Kirche sein, denke ich. Menschen sollen spüren, wie wertvoll sie sind, genau so, wie sie kommen, wie sie leben, wie sie sind!

Stolz habe ich gestern den roten Frauenbund-Teppich wieder zurück in unser Bürogebäude getragen. Wir werden ihn noch brauchen, bin ich mir sicher. Und ich bin im Herzen froh, dass auch wir als Frauenbund so ein Stück Kirche sind, wie ich es mir ersehne.