Hält unser Blog die großen Fragen der Weltpolitik aus? Ich beschließe, es auszuprobieren.

Es ist Dienstag letzter Woche. Eine ganze Welt hält den Atem an. Wer wird neuer Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika? In den Abendnachrichten packt mich große Fassungslosigkeit. Allen Umfragen zum Trotz hat Amtsinhaber Trump sehr viele Stimmen geholt. Sein Sieg scheint zum Greifen nah. Darauf war niemand vorbereitet, unsere Bundesregierung nicht und ich auch nicht. Die Hoffnung auf einen Stilwechsel im Weißen Haus hat getrogen. „Nicht das auch noch“, denke ich. Corona ohne Ende, und dann noch vier Jahre Donald Trump. Wie viel hält eine Welt aus? Meine Stimmung ist im Keller.

Mehrere Tage lang schiele ich ständig in die Nachrichtenlage. Die Liveblogs erneuern quälend langsam die jeweils aktuellen Zahlen aus den Bundesstaaten. Ich bewundere die Menschen, die –präzise wie ein Schweizer Uhrenwerk- Stimmzettel um Stimmzettel auszählen. Die Zeit verstreicht. Ich bin nervöser, als ich es je gedacht hätte. Abends gehe ich bang ins Bett und frage mich, welche Nachricht mich am nächsten Morgen erwartet.

Unterdessen mahnt Joe Biden zur Geduld. Vom Wahlabend an strahlt er Hoffnung aus. Er sagt, er ist guter Dinge, wenn man die Auszähler*innen ihre Arbeit machen lässt. Auf mich wirkt er wie ein Mann, den nicht mehr viel schrecken kann im Leben. Nicht die Möglichkeit einer Niederlage, nicht das endlose, nervenzehrende Warten, nicht das seltsame Gebaren seines Gegners.

Der benimmt sich derweil wie die Axt im Wald. Anstand gehört nicht zu seinen Kernkompetenzen, Geduld auch nicht, Verlieren-können am wenigsten. Und doch drehen die Briefwahlstimmen langsam, aber unaufhaltsam die Mehrheiten. Überall, wo noch gezählt wird, ist es denkbar knapp. Hat Biden eine Chance? Dreht sich das Blatt, das am Dienstagabend so verloren schien?

Die Woche nähert sich dem Ende. Die letzten Staaten, die ein Wahlergebnis schulden, scheinen sich festgebissen zu haben. Es kann noch Tage dauern, hört man. Am Samstag beschließe ich, meine ständigen Blicke in die Nachrichten-Apps aufzugeben und mit meinem Sohn shoppen zu gehen. Er braucht neue Kleider, weil er unaufhörlich wächst. Das sind die realen Dinge des Lebens, die gelöst werden müssen. Da muss die US-Wahl zurückstehen.

Wir kaufen in Stuttgart ausgiebig ein, corona-konform mit Maske natürlich. Kurz bevor wir wieder in den Zug zurück steigen, entdeckt mein Sohn die neue Nachrichtenlage. Bidens Marke der Wahlleute zeigt auf 279. Er scheint gewonnen zu haben. Ich kann es kaum glauben. Der Abend vergeht mit Sondersendungen zur Wahlentscheidung. Die Hinweise verdichten sich, dass Biden der 46. Präsident von Amerika wird. Erleichterung macht sich in mir breit. Besonders freut es mich, dass mit Kamala Harris eine Frau zur 1. Vizepräsidentin der USA gekürt wird.

Heute beginnt eine neue Woche. Die Sonne scheint. Ich bin vergnügt. Ich schaue auf diese Wahl am anderen Ende der Welt. Und ich spüre, dass ich gerade sehr bedürftig bin, gute Nachrichten zu hören. Die US-Wahl hat das Zeug dazu, eine zu sein. Sie lehrt uns, dass hoffnungslose Situationen sich drehen können. Und dass der lange Atem am Ende siegt. Das ist wahrlich eine frohe Botschaft in dieser Corona-Zeit!