Eine wunderschöne Wanderung durch Deutschlands Südwesten liegt nun hinter mir. Ich war mir ziemlich unsicher, ob ich dem Weg mit Rucksack wohl gewachsen wäre, aber meine jüngste Tochter hat mich freundlich dazu ermutigt. Der Schwarzwald-Bodensee-Querweg führt eigentlich von Freiburg nach Konstanz; wir sind in Konstanz aufgebrochen und sieben Tage später gesund und vergleichsweise munter in Freiburg angekommen. Auch das Wetterglück war uns so was von hold: Das einzige Gewitter erlebten wir nachts in einem gemütlichen Hotelzimmer in Hinterzarten. An die Grenze meiner körperlichen Leistungsfähigkeit bin ich aber durchaus gekommen, und mit dem gar nicht so wenigen Notwendigen für sieben Tage und zwei Litern Wasser auf dem Rücken hab ich mich schon manchmal gefragt, warum ich mir das antue. Und doch war es eine zutiefst gute, bestärkende Erfahrung – des Wegs, der Gemeinschaft. Auch der Anstrengung, die weiter führt. Und der Kopf wird tatsächlich frei, wenn es darum geht, sich auf den nächsten Schritt zu konzentrieren und einfach nur durchzuhalten.

Auch wenn es kein Genusswandern im eigentlichen Sinne war: Die abwechslungsreichen Landschaften, der „gold´ne Überfluss“ der Natur waren ein großes Geschenk – die sanften Hänge und Hügel der Bodenseeregion, die bisweilen herausfordernde Hegau-Landschaft mit mehr als einem steilen Anstieg, die Wutach-Schlucht im Schwarzwald, die uns zu immer neuen Ab- und Aufstiegen nötigte.  Im Bodenseeraum und im Hegau war unser Weg immer wieder gesäumt von leuchtenden Pflaumen-, Apfel- und Birnbäumen, manchmal schimmerten auch sonnenbeschienene Mirabellen einladend durch die Zweige. „Trinkt ihr Augen, was die Wimper hält, von dem gold´nen Überfluss der Welt.“ – Diese Zeilen aus Rilkes Herbstgedicht kamen mir angesichts der in warmes Sonnenlicht getauchten Spätsommerlandschaft, der reich tragenden Obstbäume immer wieder in den Sinn und verstärkten meine Freude. Erstaunlicher Weise hatten wir die naturschöne Spätsommer-Landschaft fast ganz für uns. – Wer schon einmal auf den klassischen Jakobswegen in Frankreich und Spanien unterwegs war, kann nur staunen über die Wiesen- und Waldeseinsamkeit ausgerechnet zwischen den touristischen Hotspots Bodensee und Schwarzwald.

Unser Ziel, die lebendige Schwarzwald-Metropole Freiburg, die vor Menschen und vor Lebensfreude an diesem letzten warmen Spätsommerwochenende geradezu vibrierte, erreichten wir frohgemut. Es hat schon was, wenn kleine Grüppchen abends zusammensitzen, die Füße und den guten Wein vom Kaiserstuhl in einem der „Bächle“ kühlen, miteinander reden und lachen. Bei so viel Lebensfreude passte durchaus am nächsten Morgen ein Besuch des sehenswerten Alten Friedhofs ins Programm, frisch geduscht und frisch gewandet. Im hellen Sonnenschein konnte uns der Totentanz in der Vorhalle der St. Michaelskapelle keinesfalls schrecken, so dachten wir. Darstellungen des „Totentanzes“  gibt es seit dem 14. Jahrhundert. Neben dem „memento mori“, also der Erinnerung an den allgegenwärtigen Tod, kommt in den klassischen Totentanz-Darstellungen auch der Gedanke der Gleichheit aller Menschen (vor Gott und vor dem Tod) zum Ausdruck. Kein Stand, kein Beruf, keine Berufung, aber auch kein Lebensalter sind von der Bedrohung des Todes ausgenommen. Hier schimmert der urchristliche Gleichheitsgedanke durch, wenn etwa ein Bischof neben einem Adligen, einer Königin oder einem Bauern oder Bettelmann im Reigen erscheint. So weit, so gut und richtig. Meine gute Laune änderte sich aber schlagartig, als ich ein Bild und den zugehörigen Text des nur wenige Gestalten abbildenden Freiburger Totentanzes sah: Einer wenig schmeichelhaft dargestellten Frau (mit eigenem Kopf!) hält der Tod grausam und fast sadistisch einen Totenschädel vors Gesicht mit dem zynischen Hinweis: „ Der eigne Kopf macht lauter Zank, / dem Tod darum für diesen (den Tod) dank!“ Weil der eigne Kopf (bei einer Frau) etwas Verabscheuenswertes ist, das nur für Unfrieden sorgt, soll die Frau dem Tod danken, dass er sie vom Übel des Eigenwillens erlöst.

Gerlinde Wosgien hat hier im Frauenbundblog das Thema „Femizid“ aufgegriffen: Frauen werden getötet, weil sie Frauen sind und nicht den Erwartungen, wie eine gute Frau zu sein hat, entsprechen. Dass sie nicht den Erwartungen und Normen entsprechen, ermächtigt Männer dazu, sie zu bestrafen wie ein ungezogenes Kind, sie zum Schweigen zu bringen oder ihnen das Leben zu nehmen; hier in Deutschland mittlerweile fast jeden zweiten Tag.

In einer gemeinsamen Arbeitsgruppe der gesellschaftspolitischen und der theologischen Kommission des KDFB bereiten wir derzeit einen Beschluss zum Thema Femizid für die Bundesdelegiertenversammlung vor. Es ist höchste Zeit, der alltäglichen Frauenverachtung entgegenzutreten und auch deren Verharmlosung. Die frauenfeindlichen Wurzeln im christlichen Lehramt, im bis auf den heutigen Tag vermittelten Frauenbild kommen in den Blick. Hier im religiösen Bereich finden sich auch noch heute wirkmächtigen Wurzeln der Gewalt gegen Frauen, die zu benennen den Bischöfen und dem Papst gut anstünde. Es ist höchste Zeit, die Vielfalt von möglichen Frauenbildern, Lebenswegen und Lebensmodellen von Frauen anzuerkennen!

Der Freiburger Totentanz (erneuert 1963!) zeigt unverhohlen die tradierte Frauenverachtung, die Abwertung von Frauen, wenn sie nicht der Rolle entsprechen, die ihnen zugedacht ist. Einen eigenen Kopf zu haben, selbst zu denken, zu sprechen, zu handeln bewirkt, dass die Frau des Todes ist, ja dass sie perfider Weise dem Tod dankbar dafür sein soll dafür, dass er sie von ihrem eignen Kopf befreit.

Gehen wir nicht schnell zur Tagesordnung über, sensibilisieren wir bewusst für das schreckliche Thema Femizid und nehmen wir die frauenfeindlichen Traditionen im Christentum, die der Lebenspraxis Jesu diametral gegenüberstehen, ernst. Sie sind wirksam bis heute.

Als Mitglied des Bundesvorstands und als Geistliche Beirätin stelle ich mir, zusammen mit vielen anderen Frauen des Frauenbunds, die Frage: Wie können wir verbunden bleiben in dieser Zeit der notwendigen Vereinzelung? In der Familie erlebe ich es gerade als ein überraschendes Glück, wie vital und tatsächlich verbindend die vielfältigen virtuellen Kontakte untereinander sind. Das bewegt mich, mit unserem frauenbundblog ein Stück Neuland zu betreten - wie es der Frauenbund übrigens zu allen Zeiten getan hat - und Sorge und Hoffnung, aber auch Alltägliches, Banales, Besonderes auf neue Weise zu teilen: Auch so können wir einander begegnen und einander bewegen ...

3 Kommentare

  1. Steinert Ruth 21. September 2024 at 8:41

    Danke für diesen Beitrag!

  2. Zopfschulte 30. September 2024 at 15:57

    Vielen Dank für diese schöne Beschreibung einer Wanderwoche. Die Zeilen machen sowohl die körperliche Anstrengung als auch die Freude an und in der Natur erlebbar. Und man versteht, dass sie im Idealfall in so etwas wie, sorry für das alte Wort, Erbauung zusammenkommen können. Schön!
    Etwas Profanes: Es gibt kein Zweifel, dass an Frauen begangene Straftaten in den gesellschaftlichen Fokus gehören und insbesondere Tötungsdelikte auch in ihrer Entstehung und Motivlage genau beachtet, untersucht und bekämpft gehören. Allerdings sollte die Begriffsbestimmung des Femizids überdacht werden, nach der Frauen getötet werden, „weil sie Frauen sind“. Das ist so offensichtlich unlogisch, dass man sich über die häufige Verwendung nur wundern kann. Frauen werden, wie (viel häufiger) Männer auch aus vielen Gründen getötet, zB Habgier, Eifersucht, Rache. Dass Frauen „wegen ihres Frauseins“ getötet werden, dürfte kaum vorkommen.

  3. Dorothee Sandherr-Klemp 30. September 2024 at 16:57

    Ganz herzlichen Dank für Ihre Kommentare. Über den Dank von Frau Steinert freue ich mich einfach sehr, Frau oder Herrn Zopfschultes Anmerkungen sind nicht weniger willkommen. Allerdings bitte ich doch darum, den ganzen Satz zu lesen bzw. den Satz vollständig und nicht missverständlich zu zitieren. Denn meine Formulierung war: „Frauen werden getötet, weil sie Frauen sind und nicht den Erwartungen, wie eine gute Frau zu sein hat, entsprechen.“ Das ist die eigentliche Problematik: die enge Vorstellung davon, wie eine Frau zu sein hat, gerade in Verbindung mit patriarchalen Machtstrukturen, seien sie religiös oder gesellschaftlich verankert. Diese geben den Tätern das gefühlte Recht, über Leben und Tod einer Frau zu entscheiden. Genau solche Zusammenhänge gilt es zu erkennen und zu benennen, auch um entsprechend präventiv handeln zu können.

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