„Was bewegt Frauen in dieser besonderen Zeit?“, heißt eine der Fragestellungen und Motivationen unseres Blogs. Aus gegebenem Anlass versuche ich mich heute an einer Bildanalyse, dem Klassiker aller Kunst-Unterrichtsstunden, Kunstreiseführer und Bildbände. Denn es gibt ein Bild, das bei mir zurzeit so einiges an – zumindest innerer – Bewegung auslöst, von unglaublichem Augenzwinkern über ein Kopfschütteln bis zu genussvollem Zurücklehnen. Leider ist das Bild momentan nur bedingt öffentlich einsehbar (nämlich im Facebook-Account der Deutschen Bischofskonferenz), aber das kann sich ja noch ändern, jedenfalls finde ich es absolut museumsreif. Es ist ein Foto und macht jedem Historiengemälde ernsthafte Konkurrenz: einmal wegen seiner ziemlich perfekten räumlichen Bildkomposition und des Arrangements der Personen, dann auch wegen seiner Perspektive auf einen Nebenschauplatz eines wichtigen kirchlichen Ereignisses. Stellen wir uns also einmal vor, wir beschreiben das Bild für jemanden, der es nicht sehen kann, oder für jemand, die nicht dabei sein konnte.

Die Hauptperson des Ereignisses ist kurioserweise gar nicht im Bild zu sehen. Doch ihre Ankunft wird von allen Anwesenden – freudig, gelangweilt bis genervt – ersehnt. Denn da stehen sage und schreibe 28 Personen auf dem Kopfsteinpflaster, sauber aufgereiht als Spalier, und warten. Im Hintergrund ist ein lang gezogenes klassizistisches Gebäude mit zwei Stockwerken zu sehen, sein Eingangsportal ist in der Bildmitte in Zentralperspektive angeordnet. Der aufmerksamen Betrachterin entgehen auch die – mindestens – drei Personen in den Fenstern im 1. Stock über dem Portal nicht, Letzteres im Übrigen mit bischöflichem Wappen verziert, die ebenfalls einen Blick auf das bald folgende Geschehen erhaschen möchten. Worauf warten sie denn alle? Auf den soeben neu geweihten Bischof von Augsburg, Dr. Bertram Meier. Tatsächlich zeigt uns das Bild die teilnehmenden Personen des feierlichen Auszugs aus dem Dom vor dem Bischofspalais.

Da stehen sie also nun und warten, die Gesichter lassen mindestens 22 Männer erkennen, die Kleider bzw. liturgische Kleidung tragen. Der zumeist violetten – mit einem leichten Hang zu pink neigenden – Kleiderfarbe und den Kopfbedeckungen nach sind vier von ihnen Bischöfe, ein Abt, viele Domkapitulare und Domvikare, zwei bis drei  weitere Priester und Diakone sowie vier Ministranten oder andere liturgische Dienste. Wenn da nicht die Straßenbahnschienen im Bild-Vordergrund wären und die eindeutige Einordnung als Fotografie, könnte man meinen, das Bild stamme aus dem 19. Jahrhundert oder früher.

Doch da ist ein Detail, das die Aufnahme mehr als alles andere in unserer Gegenwartet verortet. Es gibt eine Person zu sehen, leicht versetzt links zur Bildmitte steht sie, wirkt beinahe unscheinbar und ist doch Teil des Spaliers. Für mich ist diese eine Person die spektakulärste Erscheinung des ganzen Bildes. Warum? 1. Der Kleidung nach (ein weißer Hosenanzug) ist es (also sie) eine Frau – fast die einzige unter mehr als 22 Männern. 2. Sie hat als einzige im Spalier offensichtlich (die) Hosen an. 3. Sie trägt einen blauen Schal. – Moment, blauer Schal? 4. Tatsächlich, sie hält eine Fahne, von der gerade noch ein Eckchen eines Logos zu sehen ist: KDFB – Katholischer Deutscher Frauenbund.
Welch gelungene Präsenz inmitten der illustren klerikalen Schar auf diesem Bild! Ein herzliches Dankeschön an die Fahnenträgerin vom KDFB-Diözesanvorstand in Augsburg!

Kein Wunder, dass die zweite Frau auf dem Bild, eine Ministrantin in ihrer Nachbarschaft, übrigens als einzige in rot gekleidet (liturgisch-ekklesial üblicherweise ja die Farbe der Märtyrer*innen wie auch der Kardinäl*…), den Blick in Richtung unserer Frauenbund-Frau wendet.

Das ganze Bild spricht Bände … Nicht nur wegen der Corona-Mundschutz-Masken, die einige wenige tragen (inklusive unserer Frauenbund-Frau), ist das Bild schon jetzt museumsreif. Es scheint wegen vieler anderer Details ziemlich aus der Zeit gefallen zu sein. Für mich stirbt die Hoffnung zuletzt, dass Bilder dieser Art eines Tages Kirchengeschichte sind und im wahrsten Sinn des Wortes der Vergangenheit angehören. Ich wünsche uns, der Ministrantin und allen übrigen auf dem Bild, dass wir das noch erleben: Ein liturgischer Auszug aus dem Dom in freudiger Erwartung der neuen Bischöfin.

 

Die reine Wahrheit oder die reine Ironie? Die Leserinnen und Leser dieser Zeilen mögen es selbst entscheiden.