Am Sonntag habe ich meinen Sohn in die Kirche zum Ministrieren gefahren. Das macht er im Moment ein oder zweimal im Monat. Ich bin mit Jogginghose und Kapuzenpulli ins Auto gestiegen und nicht in den Gottesdienst mitgegangen. Das fand er nicht gut und meinte, ich hätte ihm versprochen, mal wieder mitzugehen in die Kirche. Ich musste ihm recht geben, das hatte ich tatsächlich. Er hat mir ganz klar gesagt, ich könne ihn nicht zum Ministrieren auffordern und selber gar nicht mehr kommen, das sei nicht vorbildlich. Und dann fügte er noch an: „Wenn Du nicht mehr willst, dann tritt halt aus!“. Ich habe versucht ihm zu sagen, wie ich mich fühle und was mich die letzten Monate beschäftigt in Sachen Kirche und Glaube. Es zieht mich tatsächlich nichts in eine Kirche. Seit März habe ich keine mehr betreten – mit einer Ausnahme: im August haben meine Eltern Goldene Hochzeit gefeiert, in der Wallfahrtskirche, in der sie vor 50 Jahren geheiratet haben. Dieser Gottesdienst war sehr bewegend – weil es mit mir und uns zu tun hatte und weil meine beiden Jungs gemeinsam ministriert haben. Das gab es noch nie, der Ältere hatte schon vor einigen Jahren seinen Ministrantendienst beendet – und dieser Moment hat mich ganz besonders berührt. Und ich glaube fast, das ist schon die Antwort auf die Frage, warum mir der klassische Sonntagsgottesdienst nicht fehlt: Weil er wenig oder kaum mit mir zu tun hat. Geistliche Impulse finde und lese ich vielfältig im Netz oder in meinen Zeitschriften. Das „Schwätzle“ nach der Kirche gab es auch vor Corona für mich kaum, weil ich einfach nur wenige Menschen kenne. Und eine weitere, ehrliche Antwort muss ich mir nun auch eingestehen – sie hat sich mir aufgedrängt, nachdem ich den aktuellen Hirtenbrief unseres Bischofs gelesen habe. Er schreibt von seiner Sorge, „dass in der gegenwärtigen Pandemiezeit das tiefe Geheimnis der Eucharistie banalisiert oder gar verloren gehen könnte“ … und „dass wir die eucharistische Quelle unseres Glaubens und unserer Kirche, ja unseres ganzen kirchlichen und persönlichen Handelns gerade in diesen schweren Zeiten nicht verschütten. Käme uns die Eucharistie abhanden, verlören wir als Kirche die wichtigste Quelle unserer Energie zu lieben …(Lumen Gentium)“. Ich tue mich schwer, die Eucharistie als zentrale Kraftquelle zu fühlen. Und das eigentlich schon lange. Bislang habe ich es immer an meinem Unvermögen mich dafür zu öffnen, festgemacht. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich damit richtig gelegen habe.

Gleichzeitig habe ich diesen Sommer einen ganz neuen und Mut machenden Blick auf den Glauben geschenkt bekommen. Für ein Interview hatte ich den evangelischen Pfarrer von St. Gallen (CH) getroffen. Er hat ein, so finde ich, sehr lesenswertes Buch geschrieben, „Freestyle Religion“. Für mich sind drei Punkt hängen geblieben: jeder hat und braucht seinen eigenen Zugang zu Glaube und Spiritualität; und zwar einen, der zum eigenen Lebensweg passt. Dann: damit diese Spiritualität tragfähig ist, muss sie irgendwo angebunden sein – und das muss nicht die Heimatgemeinde sein. Auch eine andere Gruppe, Einrichtung oder ein geistlicher Ort wie etwa ein Kloster kommen dafür in Frage. Und zum Schluss: Man muss gemeinsam ins Handeln kommen, sich nicht nur versammeln um der Versammlung Willen.

Und noch etwas war mir in dieser Klarheit bislang nicht bewusst, auch das habe ich aus dem Gespräch mitgenommen: Selbsterfahrung und Gotteserfahrung sind zwei Seiten derselben Medaille. Und damit ich mit mir selbst wieder in Berührung komme, spüre, was wichtig ist, braucht es einen guten Rhythmus und Zeiten der Stille. Die hatte ich in diesem Sommer. Und für mich hat sich der Blick auf mein Leben und meinen Glauben geweitet! Ich werde nicht austreten, ich werde neue Wege in den Blick nehmen.