„Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand.“ –Ob dieses Verdikt über den Frauenfußball tatsächlich aus einem DFB-Beschluss von 1955 stammt, habe ich nicht verifiziert. Aber es könnte passen. In die Zeit. In das Denken, in die Klischees und Rollenstereotype, in die Frauen gedrängt und gezwängt wurden. Das Zitat könnte allerdings auch einer römischen Erklärung über „Würde und Wert der Frau“ entnommen sein. Denn viele Männer, allen voran Kirchenmänner, wussten schon immer ziemlich genau, was gut ist für Frauen – und was nicht.
In den letzten Wochen war hierzulande und in vielen Ländern echte Begeisterung für den Frauenfußball zu erleben, Begeisterung über das so kunst- wie kraftvolle Spiel der Frauen. Männliche Nachbarn und Freunde schauten plötzlich regelmäßig Frauenfußball, vor ein paar Jahren undenkbar. – Ich bin kein Fußballfan. Zuletzt habe ich vermutlich anno 2006 anlässlich des sogenannten „Sommermärchens“ ernsthaft Fußball geguckt. Und dann wieder am 31. Juli 2022, das wirklich spannende Endspiel in England. Was hat mich, die ich nicht besonders fußballaffin bin, daran erfreut und vielleicht sogar begeistert?
Mich begeistert, dass Frauen nicht nur ruhig, anmutig und gefällig sein dürfen, sondern kraftvoll, kompetent und dynamisch – und manchmal auch laut. Ich sehe mit Begeisterung die englische Torfrau, wie sie mit wenigen, machtvollen Gesten ihr Team beruhigt. Ich sehe die ungeheure Ausdauer, die Kraft, den Einsatz der Torjägerinnen. Ich sehe junge Fußballerinnen jubeln über das Erreichte, ich sehe vor allem, dass sich Frauen in ihrer Kraft und in ihrer Begabung endlich zeigen können, dass sie nicht mehr ausgegrenzt und verächtlich gemacht werden. Ich sehe, dass sie sich und ihre Kraft und ihre Fähigkeiten nicht länger „wie das Veilchen im Moose“, wie es in einem ehedem beliebten Poesiealbumspruch heißt, „bescheiden, sittsam und rein“ verbergen müssen. Ich sehe mit Erleichterung, dass Mädchen (und hoffentlich auch Jungen) etwas mehr Wahlfreiheit gewonnen haben: Sie können zum Ballett gehen, sie können Fußball spielen, alles ist richtig, sie sind richtig, mit der Vielfalt ihrer Begabungen.
Die Macht der Bilder: einige Wochen lang war sie wirksam. Die unwahrscheinliche Ausdauer, der beeindruckende Kampfgeist, zum Beispiel der deutschen Fußballfrauen, der sie auch nach dem Eins zu Null im Endspiel weiterkämpfen ließ, wurde in den Fernseh-Bildern sichtbar: Ein paar Sommerwochen lang durften sie sprechen, die Bilder, durften sie zeigen, dass Frauen in ihrer Vielfalt und Vielschichtigkeit willkommen sind, dass sie beeindruckend sind in ihrem taktischen Geschick, in ihrer Kraft, in ihrer spielerischen Kompetenz, in ihren gewitzten Spielzügen. Die gigantische Honorierungslücke gegenüber den Männern existiert allerdings weiter, aber werten wir es als Fortschritt, dass die Frauen nach errungenem Pokal nicht mehr mit einem Kaffeeservice abgespeist werden, wie noch bei der Europameisterschaft 1989 …