Lange Zeit habe ich nichts mehr von mir hören lassen in unserem Blog. Dabei habe ich mich in der Pandemiezeit nicht etwa in klösterliches Schweigen zurückgezogen, sondern im Gegenteil: meine Mitschwestern und ich sind versunken unter Bergen von Arbeit rund um unser leerstehendes Gästehaus, Garten und Kindergarten. Seit Beginn der Pandemie haben wir wegen ausbleibender Gäste keine Angestellten mehr und bemühen uns aufs Beste, alles in Ordnung zu halten. Meistens war ich am Abend viel zu müde, um noch etwas zu schreiben, und das, was ich aus meinem ganz normalen Alltag zu berichten hatte, fand ich nicht der Rede wert. Nicht selten musste ich in dieser Zeit an die vielen alleinerziehenden Frauen denken, die zwischen Kindern, Haushalt und mehreren Jobs ums blanke Überleben kämpfen und jeden Abend tot müde ins Bett fallen.

Das Thema Frauen-Solidarität führt mich zu den kommenden Bundestagswahlen. Seit Wochen erwarte ich hier in Jerusalem sehnsüchtig das Eintreffen meiner bestellten Briefwahlunterlagen. Doch die Postwege zwischen Deutschland und Israel – immerhin über 4.000 km Entfernung – sind in den letzten Monaten noch langsamer geworden als bisher. Sollte der Wahlbrief für mich in Jerusalem überhaupt noch eintreffen, stehe ich vor dem nächsten Problem, ob er den Rückweg nach Deutschland noch rechtzeitig bis zum Wahlsonntag schaffen wird.

Mit den anstehenden Wahlen in Deutschland geht die Ära von Dr. Angela Merkel als Bundeskanzlerin zu Ende. Seit langer Zeit ist sie als Politikerin ein Vorbild für mich. Doch erst hier in Jerusalem kamen wir beide uns richtig nahe. Auslöser dafür sind die Theologiestudenten, die ich hier an der Theologischen Hochschule des Salesianerordens im Fach Kirchenrecht unterrichten darf. Sie stammen aus über 25 Ländern, viele von Ihnen sind junge Ordensleute aus Afrika, Indien oder Fernost, unsere gemeinsame Sprache ist Englisch. Vor etwa zwei Jahren gab es an unserer Hochschule einen kulturpolitischen Studientag. Die Hauptreferentin stellte uns im Rahmen ihres Vortrags die Frage, welche Person für uns ein Vorbild sei. Für mich absolut überraschend kam als Antwort von vielen Studenten: „Angela Merkel“. Sie begründeten dies mit der klaren Haltung der deutschen Kanzlerin in der Flüchtlingskrise 2015 und mit ihrem konsequenten, verlässlichen Politikstil. Seitdem werde ich, die Gastprofessorin aus „Germany“, in den Vorlesungspausen oft auf „Angela Merkel“ angesprochen. Mit einem Augenzwinkern kann ich sagen, das ist ganz nett, solange ich nicht als „Angela Merkel“ angesprochen werde. Tatsächlich bin ich für die meisten meiner Studierenden die erste und einzige Deutsche, die sie persönlich kennen. Bundeskanzlerin Angela Merkel kennen sie aus Medienberichten. Vergleiche zwischen der eigenen Kirchenrechts-Dozentin und der Bundeskanzlerin aus Deutschland legen sich für die Studierenden also nahe, schließlich verbinden Angela Merkel und mich die Nationalität, der Umgang mit Gesetzesvorschriften und das Einfordern von (Geschlechter-)Gerechtigkeit.

Eigentlich hatte ich bis dahin immer gedacht, dass ich bei meinem Unterricht die katholische Kirche und meine Ordensgemeinschaft repräsentiere. Jetzt weiß ich, dass ich dort immer auch stellvertretend „für Deutschland“ stehe. Durch meine überraschenden Erfahrungen mit Angela Merkel in Jerusalem bin ich zuversichtlich, dass bei diesen Studierenden nicht nur zum Thema „Frauen und Politik“ etwas Positives hängen bleibt, sondern auch in Sachen „Frauen und Kirche“.

Dafür sage ich gerne „Dankeschön, Frau Bundeskanzlerin!“