Nicht Fisch noch Fleisch, so fühlt sich vieles für mich derzeit an. Immerzu ist da dieses „einerseits … andererseits“. Und wahrscheinlich muss das jetzt so sein. Es ist halt eine Gemengelage, in der wir uns befinden, eine Art labiler Stabilität. Trotzdem fühlt es sich manchmal lau und mau an.
Wie hieß noch gleich dieser kluge Satz: „There is no glory in prevention.“ Ja, Prävention hat leider nichts Ruhmreiches an sich, ganz anders als zum Beispiel eine beeindruckende Herz-Transplantation; doch beides rettet Leben! Prävention ist not-wendig! Und doch dürfen, ja müssen wir auch schauen, wo sich Rückzug, Resignation oder Bequemlichkeit breitmachen. Meine kleine Aufzählung von einigen „einerseits … andererseits“ soll kein Klagen sein, sondern einfach Beschreibungen des Status quo.
- Manches geht ja nun wieder, auf jeden Fall ein bisschen, aber noch nicht so richtig: Die Kinder dürfen „im Prinzip“ wieder in die Schule, doch Entlastung kommt bei vielen Eltern noch nicht wirklich an. Bei den beiden kleinen Mädchen meiner Nachbarn ist es gerade mal ein Tag in der Woche, an dem sie zur Schule dürfen, und da sie unterschiedliche Schulen besuchen, sind es auch noch zwei verschiedene Tage: einerseits schön, dass die Schulen geöffnet sind … andererseits nach wie vor schwierig für die Eltern.
- Auch Gottesdienste sind schon länger wieder erlaubt, in unserer Gemeinde sind es kurze sonntägliche Wort-Gottesdienste, die von Ehrenamtlichen getragen werden. Schade, dass sich in dieser besonderen Situation nicht auch Hauptamtliche aus dem Pastoralteam finden, die diesen sonntäglichen Angeboten Wertschätzung verleihen, indem sie einige der Gottesdienste übernehmen. Ja, es ist gut, dass wieder etwas stattfinden kann, und doch bleibt da ein Gefühl der Resignation, der Dürre: einerseits … andererseits.
- Aber auch Eucharistiefeiern sind für viele derzeit nicht wirklich stärkende Erfahrungen, wenn Antworten und Lieder entfallen und Gemeinschaft wenig erlebbar ist. Anderswo müssen Masken getragen werden, bisweilen steht das Desinfektionsmittel auf dem Altar und die Hostien werden mit der Zange gereicht: einerseits …andererseits.
- Die Fernseh-Gottesdienste haben für nicht wenige Ältere große Bedeutung, nicht nur in Corona-Zeiten. Die ökumenische Weitung des Blicks ist mittlerweile geistlich-geistig bereichernde Selbstverständlichkeit. Dagegen hätte, so erzählte mir bedauernd eine ältere Dame am Pfingstmontag, die wieder gemeindelos gestreamte Heilige Messe, die der Pfarrer durchaus „fromm“ mit zwei ausgebildeten Sängern feierte, auf sie wie eine Theateraufführung gewirkt, und das leider nicht zum ersten Mal: einerseits … andererseits.
- Vom Beginn der Krise an halte ich bewusst den Kontakt zu meiner in ihrem Haus lebenden Mutter. Doch immer ist da auch das Gefühl, dass ich eine Bedrohung ihrer Gesundheit sein könnte. Wenn ich die Besuche aber reduziere, dann dominiert zuverlässig die Sorge, sie zu vernachlässigen: einerseits, andererseits.
- Richtig schön war, dass nach einem Vierteljahr wieder Besuch in unser Haus kommen konnte. Meine jüngste Tochter aus Berlin kam vor gut 14 Tagen in einem noch relativ leeren Zug hier an. Was für eine riesengroße Freude! Umarmt haben wir uns aber erstmal nicht, sicherheitshalber: einerseits … andererseits.
- Die Geschäfte haben längst wieder geöffnet, Stadtbummel sind möglich; und doch ist da das leicht mulmige Gefühl, etwas eigentlich Unnötiges zu tun und dadurch mir und eben auch anderen Schaden zuzufügen: einerseits … andererseits.
- Seit vielen Jahren bin ich in der Begleitung von Menschen mit Verlusterfahrungen, von Menschen in Trauer, tätig. Viel zu lange Wochen konnten wir niemandem zur Seite stehen, nun ist es in Einzelgesprächen oder in kleinen Gruppen wieder möglich. Doch die Sorge um die Gesundheit der häufig älteren Menschen bleibt bestehen: einerseits … andererseits.
So werden wir noch eine Weile leben, vorsichtig, nachdenklich, befangen, manchmal auch gefangen in dieser Spannung von „einerseits … andererseits“. Das ist vermutlich die vielzitierte neue Normalität, die uns ja nicht einfach vorgegeben ist. Wir müssen sie, in aller Besonnenheit, jeweils neu finden und definieren. Das ist nicht leicht. Und doch ist es unsere Aufgabe, mit wachen Sinnen, eigenverantwortlich, beweglich und vor allem unverzagt den Alltag auszutarieren, tagtäglich neu.
Alltag austarieren, ja, darum geht es jetzt.
Es war eine so gute Entscheidung von mir, über Pfingsten nach Wangerooge zu fahren. Die Insel gehört zum Bistum Münster. Singen ist erlaubt im Gottesdienst, 2,3 Lieder.
Über Pfingsten gab es viel Musik im Gottesdienst: Orgel, Saxophon, Querflöte, Gitarre und einige Vorsängerinnen. Natürlich nicht alles gleichzeitig.! Ja, ich merkte es deutlich, Musik im Gottesdienst ist mir sehr wichtig.
Und die Kommunion wurde für mich in einer annehmbaren Weise ausgeteilt. Nacheinander mit Abstand traten die Menschen an einen Tisch. Mit Pinzette, doch ohne Worte, legte der Pfarrer die Hostie immer an eine andere Stelle der Servietten, die auf dem Tisch lagen. Es gab Blickkontakt und würdiges Schweigen. So geht es auch.
Immer noch zehre ich von den täglichen Gottesdiensten. Schon plane ich die nächste Auszeit auf Wangerooge.
Obwohl, selbst in unserer Seelsorgeeinheit gibt es kleine Erfolge. Ich war beim Leiter der Seelsorgeeinheit vorbeigegangen und erzählte ihm, wie traurig ich das Schweigen der Pfarrer über Ostern erlebt hatte. Und vielen Alten und Kranken ging es ähnlich. Es gab eine wortkarge Rechtfertigung des Pfarrers und leider wenig Verständnis. Umso mehr freue ich mich, dass es im jetzigen Pfarrbrief endlich einen Gruß des Pfarrers gibt.
Am kommenden Sonntag werde ich daher erneut versuchen , in meiner Heimatpfarrei aufzutanken- ganz gleich wie unperfekt vieles hier ist. Nur Klagen trägt nicht zu meinem Seelenheil bei. Vielleicht tut mir der stille Gottesdienst auch gut.