Stell dir vor, du kommst zu Dienstbeginn auf den Krankenhausparkplatz und musst nicht suchen. Alles ist frei. Nicht nur etwas entspannter, so wie es sonst schon mal in den Sommerferien ist. Sondern echt frei, leer…
Dieses Bild gibt es wohl nur in Zeiten von Corona. Menschen, die jetzt nichts Dringendes im Krankenhaus zu tun haben, bleiben fern. Zu groß die Angst, sich „etwas zu holen“. Operationen – werden verschoben, sofern sie nicht lebenswichtig sind. Und derzeit ist auch kein Besuch bei den stationären Patient*innen gestattet.
Das Krankenhaus – eine Geisterstadt?
Das allerdings nicht. Drinnen, auf den Stationen und in den Fachabteilungen, herrscht weiterhin Geschäftigkeit. Aber auch reduziert, nicht wie sonst. Betten stehen leer, Abteilungen werden zusammengelegt bzw. vorübergehend geschlossen. Viele stellen sich die Frage, wie die fehlenden Einnahmen kompensiert werden können, wenn gleichzeitig das Personal, größter Kostenfaktor im Krankenhaus, weiterhin bezahlt werden muss? Viele treibt die Sorge um: Wie werden wir das überstehen? Gesundheitlich, nervlich und letztlich auch: ökonomisch.
Eine Ebene mit Patientenzimmern wurde komplett für eventuelle Corona-Fälle geräumt. Da wäre viel Platz, wenn… Auf dieses „Wenn“ ist alles ausgerichtet. Täglich kommen mehrere Mails aus der Hygiene-Abteilung mit immer wieder neuen und zusätzlichen Vorgaben. Worauf zu achten ist, wenn der „Ernstfall“ eintritt. Pflegekräfte werden speziell eingewiesen und für die Beatmungsgeräte geschult. Dann heißt es warten. Denn bisher blieb der große Ansturm aus, es sind noch wenige erkrankte Personen.
Auf den anderen Stationen: Besuchsverbot. Besonders tragisch für alte Patient*innen, denen nicht begreifbar zu machen ist, warum die Familie nicht zu Besuch kommen kann. Warum sie „muttergottseelenallein“ in einem Bett liegen müssen, das nicht ihres ist. Alleine in einem Zimmer. Demenzpatient*innen trifft das besonders hart. Und deren Angehörige, sofern vorhanden, vermutlich auch. Viel zu tun für die Seelsorge.
Junge Eltern, die kurz vor der Geburt ihres Kindes stehen, telefonieren sich die Finger wund. Wo gibt es eine Entbindungsstation, wo der Papa noch mit in den Kreißsaal darf? Bei uns ist es (wieder) möglich. Wir sind ein kleines Haus mit individueller Betreuung der Gebärenden. In der Uniklinik oder den Häusern in der benachbarten Großstadt ist es nicht erlaubt. So kommen einige Kinder zusätzlich bei uns zur Welt. Ob das unsere kleine Geburtsstation langfristig retten wird…? Auch so eine Zukunftsfrage.
Und auch am Ende des Lebens werden (vorsichtig) Ausnahmen gemacht, was Besuche angeht. Zu Sterbenden, die – wie sonst auch – in ein Einzelzimmer verlegt werden, darf die engste Verwandtschaft (im Moment noch!?) kommen. Das zeichnet ein christliches Haus aus: Dass am Anfang und am Ende des Lebens noch einmal genauer geschaut wird, was die Menschen brauchen. Dass das Willkommen auf der Welt und auch der Abschied nach langem gemeinsamem Lebensweg auf gute Weise möglich sind. Dass die Ehrfurcht vor diesen Geschehen Raum hat und auch angemessen begleitet wird. Von einfühlsamen Pflegekräften, Ärzt*innen und Therapeut*innen. Und natürlich von uns, der Seelsorge. Wir sind auch jetzt da – und verkörpern damit auch den lebendigen Gott, der uns dies für alle Zeiten zugesagt hat: Ich bin bei euch. Auch und gerade in diesen seltsamen und bedrohlichen Zeiten: Gott ist mit uns. Egal, wie voll der Parkplatz ist.
Liebe Frau Mader,
Sie sprechen ein Thema an, dass mich sehr aufwühlt in diesen Wochen – Menschen in Krankheit und Leid bleiben ohne tröstenden und stärkenden Besuch von Familien und Freunden. In einem Fernsehbeitrag aus Italien habe ich gesehen, wie sich Todkranke auf der Intensivstation per Skype über ein Tablet von ihren Angehörigen verabschiedet haben. Wollen wir das wirklich? Ist dieser Preis nicht zu hoch? Ich kann sehr viele Schutzmaßnahmen verstehen und kann sie mittragen. Aber mein Gefühl sagt, dass hier eine Grenze überschritten wird. Es muss hier doch alternative Möglichkeiten geben! Was denken Sie?
Liebe Frau Pfann,
darin stimme ich Ihnen voll und ganz zu. Deshalb ist es uns ja so wichtig, dass der Abschied von Sterbenden weiterhin möglich ist. Glücklicherweise haben wir es bis jetzt meistens ermöglichen können. Ich hoffe, dass das auch trotz der Krise weiterhin gelingt.
Abschied per Tablet hatte ich (vereinzelt!) auch schon vor Corona erlebt, weil Angehörige, die weit weg lebten oder studierten, nicht rechtzeitig zurück kommen konnten. Es ist glücklicherweise noch die absolute Ausnahme. Und bleibt es hoffentlich auch.
Muttergottseelenallein, das Wort trifft mich.
Und ich stelle es mir sehr schwer vor für die alten dementen Menschen.
Aber auch ich fühle mich zeitweilig „muttergottseelenallein“. Seit sieben Wochen versuche ich mich daran zu gewöhnen, dass ich Witwe bin. Und dann kam noch die Ausgangsbeschränkung. Mir geht es sicher immer noch besser als vielen Menschen im Krankenhaus. Ich bin gesund. Ich darf und kann immer noch das Haus verlassen. Ich kann mich beschäftigen. Aber … immer allein. Es kostet Kraft weiterzuleben. Und es hilft mir unendlich „im Heute“ zu bleiben. Ich will mich nicht in Sorgen um die Zukunft verlieren. Ich habe erlebt, dass manches anders kommt, als ich dachte, plante, mir vorstellte. Nur für heute gehe ich behutsam durch den Tag und richte mein Augenmerk auf schöne Dinge, z.B. So viele Parkplätze sind frei . Und die Sonne scheint. Danke. Und wenn es mir gelingt, so zu schauen, fühle ich mich etwas weniger muttergottseelenallein. Danke für dieses schöne Wort, Jutta.