Ich sitze in meinem Büro und schaue in den Morgenhimmel. Hinter düsteren Wolken scheint ein heller, orange-roter Streifen am Horizont über der Schwäbischen Alb. Es ist eine eher unwirkliche Stimmung, die zur momentanen Lage zu passen scheint.
Gestern habe ich meine letzten Besorgungen vor Weihnachten gemacht. Auch einen Frisörtermin habe ich noch ergattert – es war der letzte bei einem Frisör, der eigentlich montags geschlossen hat, bei dem aber gestern der Bär steppte wie vielerorts… Über unserer Kleinstadt lag ein bisschen so etwas wie eine Endzeitstimmung. Was brauche ich noch unbedingt, damit ich gut über die nächsten Wochen komme? Die konzentrierten Einkäufe erinnerten mich an die Tage im März vor dem Lock-down. Auch damals haben wir uns eingedeckt, um heil und möglichst komfortabel durch eine ungewisse Zeit zu kommen.
Ich muss unwillkürlich an Menschen denken, über deren Leben immer eine solche Unsicherheit liegt. Wenn Krieg ist, wenn Grenzen meist geschlossen sind, wenn die Transporte von Alltagsgütern nur ab und zu eintreffen und man nie weiß, ob man das Nötigste ergattern kann… Dagegen ist unsere Lage luxuriös. Es wird keinen Engpass geben für Lebensmittel und die Grundversorgung. Also können wir uns eigentlich entspannen.
Das nehme ich mir auch vor. Wenn unser Sohn heute Nachmittag die letzte Schulstunde dieses Jahres absolviert hat und in die vorzeitigen Ferien entlassen ist, wenn morgen noch unser Adventsgottesdienst der Bürogemeinschaft einen Schlusspunkt unter die Arbeit dieses seltsamen Jahres gesetzt hat, dann wird nach und nach Ruhe einkehren. Früher als in anderen Jahren. Notgedrungen, aber vielleicht auch heilsam.
Der Advent kann im Lock-down Tiefe gewinnen. Wir warten, als ganzes Land, als ganze Welt. Es ist gut, dieses Warten auszuhalten. Wir haben als Familie dazu ein lange eingeübtes Adventsritual. Wir sitzen jeden Abend um den Adventskranz zusammen. Wir singen die immer gleichen Lieder und hören eine Adventsgeschichte. Aus den Kinderheften über das kleine Schaf Rica ist inzwischen der jugend-gemäße Adventskriminalfall geworden. Ganz egal. Wir haben gemeinsam Zeit zu spüren, dass Advent ist. Mir sind diese Momente heilig.
Advent 2020. Er ist geprägt von Sehnsucht, Unsicherheit, Verletzlichkeit, aber auch gemeinschaftlichem Mut. Das ist wahrlich adventlich, finde ich.
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