Haben Sie vor wenigen Wochen die Trauerfeierlichkeiten für Elisabeth II. im Fernsehen verfolgt? Ich nehme an, dass viele diese Frage bejahen können. Wenn Sie in Bayern leben, haben Sie vielleicht am vergangenen Freitag auch das Requiem für die ehemalige bayerische Landtagspräsidentin Barbara Stamm gesehen. Es wurde live aus dem Würzburger Kiliansdom im Bayerischen Fernsehen übertragen – ein Zeichen für die große Popularität, die der langjährigen Spitzenpolitikerin auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Parlament 2018 entgegengebracht wurde.

Ministerpräsident Markus Söder bezeichnete Barbara Stamm bei seiner Ansprache während der Trauerfeier als „unsere Queen“. Anders als Elisabeth II. wurden der gebürtigen Bad Mergentheimerin ihre hohen Partei- und Staatsämter nicht in die Wiege gelegt. Sie musste für ihre Ziele kämpfen wie eine Löwin und war deshalb für viele Frauen – nicht nur in Bayern – ein großes Vorbild. Und Barbara Stamm war natürlich auch volksnäher und nahbarer als die britische Monarchin. Sie hatte ein offenes Ohr für die Nöte und Sorgen der Menschen, nicht zuletzt für die Probleme der Schwächsten, denen die wenigsten aufmerksam zuhören. Außerdem war die Unterfränkin sehr gesellig und humorvoll. Trotz ihrer hohen politischen Ämter hat sie die Bodenhaftung nie verloren.

Als ich am Morgen des 5. Oktober im Radio von Barbara Stamms Tod erfahren habe, hat mich diese Nachricht sehr betroffen gemacht. Ich bin mit ihr „aufgewachsen“. Als sie wegen der BSE-Krise im Januar 2001 zurücktreten musste, lag ich mit meiner Tochter im Wochenbett. Ich fand diese Entscheidung völlig ungerechtfertigt und habe ihren Rücktritt damals bedauert und nicht wirklich verstanden. 2008 hat mich sehr beeindruckt, mit welcher Disziplin Barbara Stamm ihr Amt als Landtagspräsidentin ausgeübt hat, obwohl sie kurz vorher die Diagnose Brustkrebs erhalten hat. 2018 war ich traurig, dass sie den Einzug in den Landtag verpasste, weil sie kein Direktmandat hatte. 42 Jahre lang saß sie im Bayerischen Landtag und war bei einigen Landtagswahlen die Stimmenkönigin der CSU, obwohl sie nicht immer mit der Parteilinie konform ging. Als soziales Gewissen der CSU hat sie ihre Meinung offen und ehrlich vertreten und auf Missstände hingewiesen, auch wenn das gerade nicht opportun war. Diese Haltung fand ich immer sehr bewundernswert. Es gibt nicht viele Frauen und Männer in der Politik, die diesen Mut und das entsprechende Rückgrat haben.

Bekannt war Barbara Stamm uns KDFB-Frauen natürlich vor allem als leidenschaftliche Politikerin, die sich für die Gleichberechtigung und Chancengleichheit von Frauen und Männern stark gemacht hat. Als dreifache Mutter und Spitzenpolitikerin hat sie bereits in den 1970er Jahren vorgelebt, dass es möglich ist, Beruf und Familie zu vereinbaren.

Barbara Stamm war nicht nur eine äußerst beliebte Politikerin, sondern auch gläubige Katholikin und bekennende KDFB-Frau. In den 1970er und 1980er Jahren hat sie wesentlich die politische Bildungsarbeit des KDFB Landesverband Bayern mitbestimmt. Als Vorsitzende der Staatsbürgerlichen Kommission hat sie unzählige Veranstaltungen mit Hunderten von Teilnehmer*innen und hochkarätigen Podiumsgästen organisiert. Rückblickend sagte sie 1996 über diese Zeit: „Der Frauenbund hat mich und meine politischen Ziele entscheidend mitgeprägt. Die Erfahrungen, die ich dort machen durfte, fließen heute in meine Arbeit ein.“

Von 2013 bis 2017 war Barbara Stamm als Landtagspräsidentin Schirmherrin des Ellen-Ammann-Preises. Gerne denken wir an die Verleihungen unter ihrer Schirmherrschaft im Maximilianeum zurück. Barbara Stamm wertschätzte auch unsere Basis und hielt oft Vorträge in Zweigvereinen. Viele im Frauenbund, die ihr persönlich begegnen durften, werden sich dankbar an diese beeindruckende Frau erinnern.

Barbara Stamms Tochter Claudia appellierte in einer sehr bewegenden Ansprache während der Trauerfeier an die Trauergemeinde, im Sinne ihrer Mutter weiterzumachen: „Wenn viele kleine Leute an vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, können sie das Angesicht der Welt verändern.“ Dieses Vermächtnis von Barbara Stamm sollte auch Ansporn und Antrieb für unser Handeln im Katholischen Deutschen Frauenbund sein.

Gerlinde Wosgien ist promovierte Germanistin, seit 1999 Referentin beim KDFB Landesverband Bayern, zweifache Mutter und Wahlmünchnerin.